Im Rahmen manch kritischen Kommentars über unsere Grundgesetz-für-Schäuble-Aktion ist mir mal wieder ein Phänomen aufgefallen, das zwar nicht neu ist, aber hartnäckig: das Entweder-Oder-Denken, das zwei völlig unzusammenhängende Punkte in einen Gegensatz konstruiert, wo sie dann als sich gegenseitig ausschließend verargumentiert werden.
Das fängt bei so Fragen an wie “Warum machst du nicht dasunddas”, also dem Versuch, mich dazu zu bringen, zu tun, was sie wollen (und gar selbst nicht tun?) und geht bis zu Belehrungen wie “Diesunddas zu machen wäre doch viel besser” – und zeigt damit den logischen Fehlschluss, dass da wer glaubt, wenn jemand eine Sache macht / an eine Sache denkt, dass das automatisch und zwingend ausschlösse, auch etwas anderes zu tun oder sich Gedanken um anderes zu machen. Wenn ich Grundgesetze bestelle um sie dann an Politiker weiterzuschicken schließt das sozusagen sofort aus, dass ich mich auch an anderen Demos beteilige, wenn ich mir Gedanken um Wale mache, dann schließt das aus, dass ich mir Gedanken um Hungernde in der “dritten Welt” mache, wenn ich eine Aktion für den Erhalt unserer Grundrechte anstoße, dann schließt das aus, dass ich mich an anderen Aktionen beteilige, die auf dem Mist eines anderen gewachsen ist, wenn ich was ins Internet schreibe, schließt das aus, dass ich dieselben Aussagen auch gegenüber realen Menschen in meiner Umgebung mache, usw. usf.
Ich verstehe das nicht, und es macht mich wütend. Wütend zum einen, weil diese Attitüde gegen meine Person als Ganze geht, und dabei von Menschen kommt, die mich doch überhaupt nicht kennen und die nichts von mir wissen außer dem kleinen Ausschnitt, den sie von mir wahrnehmen können, indem sie das, was ich z.B. im Internet schreibe, lesen. Aber sie haben noch nie persönlich mit mir gesprochen oder mich überhaupt außerhalb dieses kleinen Ausschnitts meines Lebens angetroffen, nehmen diesen kleinen Ausschnitt aber als “alles”.
Ironischerweise am besten noch in den Vorwurf gepackt z.B. “nur im virtuellen zu agieren und nicht im echten Leben”, ohne zu bemerken, dass die Wahrnehmung dieses “rein” virtuellen nicht daran liegt, dass ich tatsächlich “nur dort” agiere, sondern daran, dass ich für diese Leute halt “nur dort” zu sehen bin (weil ich halt nicht in Bremen oder Berlin bin sondern da wo ich halt bin)
Der Vorwurf, eine “nur virtuell handelnde Person” zu sein basiert also nicht auf meinen Handlungen, sondern der Unfähigkeit des Betrachters, mich auch woanders zu sehen als dort wo sie/er mich sieht – und damit nur einen kleinen Teil meiner Handlungen geschweige denn Person (”Unfähigkeit” ist hier rein sachlich gemeint, im Sinne von “geht nicht anders”, nicht (ab)wertend).
Der Rückschluss, dass ich nur Dinge täte und mich nur dort bewegte, wo mich jemand bestimmtes sehen kann ist eine Logikfalle, in die dieser Betrachter, der sich der Eingeschränktheit seines Blickfeldes nicht bewusst ist, tapert. Nicht ich (oder im Beispiel jener GG-Bestell-Aktion: wir) “verwechseln das Internet mit dem echten Leben” sondern jene, die aus dem kleinen Blickfeld, das sie haben schließen, dass es außerhalb dieses ihres Blickfeldes nichts gäbe.
Ein weiteres Merkmal dieses Ausschlussdenkens zeigt sich, wenn selbstverständlich davon ausgegangen wird, dass die eine Handlung jegliche andere Handlung ausschlösse. Nein, wenn ich Schäuble ein Grundgesetz schicke scheine ich nicht mehr auf Demos gehen zu können, nicht mit meinen Bandkollegen auf Rock-gegen-Rechts-Veranstaltungen spielen zu können, nicht mehr mit Nachbarn, Verwandten und Freunden über z.B. GG und Menschenrechte reden zu können?
Auch hier: nur weil ich nicht explizit jedesmal sage, was ich (noch) alles tu und das damit nicht von anderen gesehen werden kann heißt das nicht, dass es nicht da ist. Auch hier wird die eigene Wahrnehmung (bzw. das, was man nicht sieht) mit der Realität verwechselt und “nicht gesehen” als “nicht existent” geglaubt. Der Vorwurf, “Das Netz mit der Realität zu verwechseln”, trifft am Ende nicht den Beobachteten, sondern den Beobachter, der die Mängel seiner Möglichkeit zur Beobachtung auf die Realität überträgt. Letztlich ist es die Umsetzung voraufgeklärten magischen Denkens: was ich nicht sehe existiert nicht.
Der damit verbundene Wahrheitsanspruch, der da implizit mitschwingt, rührt meiner Meinung nach aus einer ähnlichen, wenn nicht gar der selben, Fehlkonstruktion eines vermeintlichen Gegensatzes. Genau genommen ist vielleicht sogar der Glaube an die grundsätzliche Gegensätzlichkeit aller Dinge die Ursache für den Drang, solche Gegensätze überall zu sehen und zu konstruieren, egal ob sie einen Sinn machen oder nicht.
Es war glaub’ ich Augustinus, der das Prinzip der “einen Wahrheit” verkündete und damit im Christentum als “Kirchenvater” Karriere machte, weil die Kirche mit diesem Prinzip, es gebe immer genau eine Wahrheit, und was dieser nicht entspräche sei automatisch falsch, ihre Dogmen rechtfertigte.
Dieses Prinzip findet sich heute verinnerlicht bis in die alltäglichsten Kleinigkeiten, wenn z.B. darüber gestritten wird, wie man “am besten” (heißt: als einzig richtige Mögliochkeit) eine Geschirrspülmaschine einräumt oder, wovon hunderte Talkshows leben, ob “man” sich ein Tattoo stechen lassen “darf” oder nicht – immer auf der Suche nach “der” einen Wahrheit. Und freilich der Aburteilung von allem und jedem, der Dinge anders handhabt, denkt, glaubt oder auch nur schmeckt.
Ich ärgere mich nicht über jemanden, der mir sagt “Deine Bratkartoffeln schmecken mir nicht” oder “Deine Brille gefällt mir nicht” – das ist dessen “Geschmack”, seine Meinung und sein Recht, diese zu haben und zu sagen. Aber ich ärgere mich, wenn daraus ein “Bratkartoffeln macht man aber so!” wird. Oder ein “Eine solche Brille sieht Scheiße aus.” im Sinne eines objektiven Urteils, das es in solchen fragen aber nunmal nicht geben kann. Noch blöder wird es, wenn aus einem dieser “Du machst das falsch, weil richtig ist so” ein “du bist falsch wird, und die Sachebene (Ich kritisiere DAS (was du tust)) auf die Personenebene (Ich kritisiere DICH und deinen Charakter, das DAS ist nur der Aufhänger für ein Werturteil über dein komplettes Sein) übernommen wird.
Das Problem, in einer solchen “richtig-falsch” – “entweder-oder” – Welt zu leben ist, dass ich nicht mehr akzeptieren kann. Ich kann Handlungen des anderen, sofern sie von dem abweichen, wie und was ich tue, nicht akzeptieren, denn würde ich das, wäre der zwingende Rückschluss ja, dass meine Methode, am Ende meine Person, “falsch” ist, denn eine Wahrheit schließt ja aus dass anderes auch wahr sein kann.
Und deshalb wird sich darüber gestritten, ob man Besteck mit dem Griff nach oben oder nach unten in den Besteckkorb der Spühlmaschine tut. Oder ob andere Grundgesetze bestellen, um eins davon wieder als Symbol an einen Innenminister zu verschicken.
Dabei könnte es so einfach sein: mit einem simplen “sowohl – als auch”, das man mal eben dorthin setzt, wo man ein “entweder – oder” stehen hat ist das Problem gelöst und ist es möglich, eine solche Aktion nicht als DIE Möglichkeit zu sehen (und damit zu verwerfen), den aktuellen Tendenzen in der hiesigen Sicherheitspolitik zu entgegnen, sondern eine unter vielen. Eine zusätzliche Möglichkeit, die summiert mit vielen anderen kleinen und großen Möglichkeiten ein großes Ergebnis bringen kann. Eine Möglichkeit mehr für einen ganzen Katalog von Möglichkeiten, aus der sich jeder die (Plural!) Möglichkeiten raussucht, die ihm gefallen, zu ihm passen und die er individuell für sich (und nur für sich!) für sinnvoll und machbar hält.
Ein Argument “Bringt nix” lasse ich da nicht gelten, denn das ist mit der Aktion (wie mit vielen anderen Einzelaktionen) nicht möglich – wer glaubt, eine (jaja, eben “die wahre”) Aktion könne das, was wir hier wollen bewirken, der ist naiv. Und der, der glaubt, ich oder eine Mehrzahl derer, die mitmachen würden das glauben. Nein, es ist ein Steinchen, ein Beitrag. Von vielen, deren Summe am Ende hoffentlich das bewirkt, was wir alle möchten: den Umbau eines freiheitlichen Rechtsstaates in einen Überwachungs- und Misstrauenstaat verhindern..
Und schon ziehen wir alle an einem Strang, auch wenn wir mal verschiedener Meinung sind.
Das Leben könnte so einfach sein. Und ich müsste mich nicht manchmal so aufregen.
Und weil mir (zumal es in dem Fall nur eine kleine Handvoll ist) Leute, die in solchen Ausschlussschemata denken, letztlich am Arsch vorbei gehen, werden meine Musikerkollegen und ich unsere Idee für ein kleines Dankeschön trotz Bedenken, was da irgendwelche misanthropischen Nöler draus machen könnten und natürlich “falsche” oder gar “unlautere” Intentionen finden werden, die man uns unterstellen könnte, durchziehen. Jetzt erst recht. Ist aber noch ‘ne Überraschung – Stay tuned…
Ein Gedanke zu „Wenn die Logik einem aufs Hirn schlägt“