Die Medien ergehen sich größtenteils im unreflektierten Wiederholen von Unkenrufen derer, die um ihre Dividenden fürchten, von wegen dass der Lokführerstreik die Wirtschaft schädige (ja, bittschön, ein Streik, der das nicht täte, wie soll der denn dann was bringen?) und überhaupt „die Auswirkungen“, die einem Weltuntergang gleich zu kommen scheinen, nur weil nach Jahren Nullrunden und Nettoverdienstverlusten eine Gewerkschaft nicht sofort einknickt sondern für ihre Mitglieder echte Verbesserungen (in dem Fall: überhaupt mal halbwegs „normale“ Bedingungen) durchsetzen möchte, und vergessen dabei völlig, was die eigentlichen Themen sind, sowohl was konkret gefordert und geboten wird, als auch, was da drumrum geschieht (gerichtliche Streikverbote trotz des durch die Verfassung geschützten Streikrechts, unglaubliche Ungleichheiten zwischen Gewinn- und Lohnentwicklungen, usw.).
Die FR zeigt da heute, dass es auch anders geht, mit einem hervorragendenden Artikel über die GDL und ihre Bedeutung für die Zukunft nicht nur der Lokführer sondern unter Umständen allen Arbeitern und Angestellten. Und zeigt für die, die resignieren, weil sie glauben, als „wenige“ eh nichts ausrichten zu können, dass das Gegenteil die Zukunft sein wird.
[…] Nicht ganz unbeeindruckt – sie wisse um ihre Verantwortung und werde zunächst nicht unbefristet streiken, sagte die GDL gestern – bleibt sie in der Sache hart. Damit tut sie mehr für die Auffrischung der momentanen Bewusstseinslage in Deutschland, als jede andere Gewerkschaft. Die GDL macht sich, allein durch die Wirksamkeit und Nachdrücklichkeit ihrer Aktionen, sogar um die Gewerkschaftsbewegung insgesamt verdient, auch wenn der DGB und Transnet davon nichts wissen wollen. Denn sie gibt den Gewerkschaften eine Idee von der Wirksamkeit des Streiks zurück und öffnet Handlungsspielräume. Die öffentliche Meinung sieht das ähnlich: Es ist erstaunlich, dass sie trotz der Behinderungen des Bahnverkehrs mehrheitlich für die GDL und ihre Forderungen ist. Es kann offenbar mehrheitsfähig sein, das Partikularinteresse vor das Allgemeinwohl zu stellen. […]
[…] Damit bricht die GDL die Fixierung auf ein Gemeinwohl auf, das in den letzten Jahren allzu oft mit Geldakkumulation gleichgesetzt wurde. Warum sollte die Taktik der GDL so, sollte sie Schule machen und den großen Gewerkschaften die Augen für ihre Handlungsmöglichkeiten öffnen, nicht dazu beitragen, die allseits beklagte Schere zwischen Arm und Reich ein wenig zu schließen.
FR: Strategie für das 21. Jahrhundert. Unbedingt lesen gehen!
(Nebenbei auch irgendwie bezeichnend: sowas finde ich nicht im Wirtschaftsteil sondern da muss erst das Feuilleton kommen, um mal einen etwas offeneren Blick und damit etwas Übersicht hinzubekommen…)
(via)
Hat die GDL eigentlich schon mal irgendwo gesagt, warum sie unbedingt einen eigenen Tarifvertrag haben will. Soweit ich das mitbekommen habe, hätte man sich über die anderen Punkte (Lohnerhöhungen, Arbeitsbedingungen) längst geeinigt, nachdem die Bahn vor 2 Wochen ihr spezielles Angebot gemacht hatte.
Nö, das Angebot von vor 2 Wochen war soweit ich mitbekommen habe kein (wesentlich) anderes als das, was mit der Transnet ausgemacht wurde (und auch kein anderes als von Anfang an), mit der frechen Augenwischerei dazu, dass man „10% mehr Lohn“ anbot – wenn entsprechend mehr dafür gearbeitet würde (also real keine Verdienstverbesserung sondern eine falsche Benennung für die Selbstverständlichkeit (haha), dass dem, der mehr arbeitet, auch ein in diesen Umfang berechnetes Geld dafür zu geben ist). Also ich tät‘ mir bei dem, was die Bahn da bislang sagte – und drumrum dazu behauptete – vorkommen, als wolle mich da jemand eigentlich nur dreist (und nichtmal allzu subtil) verscheißern.
Einen eigenen Vertrag will man hauptsächlich, wenn ich das richtig verstanden habe, weil man von der Abhängigkeit von der Bahn-Transnet-Kungelei wegkommen will. Deren „Tarifverhandlungen“ verdienen ja seit Jahren kaum den Namen. Kommt ja nicht von ungefähr, dass Lokführer nichtmal am unteren Ende eines Facharbeiterlohns stehen, trotz Schicht, Wochenend- und Feiertagdiensts. Die 30%, die die wollten, sorgten ja dafür, dass dieses untere Ende überhaupt mal erreicht würde. Dafür dass dieser Beruf ja offensichtlich so wichtig zu sein scheint, dass die Welt untergeht, wenn die Jungs & Mädels mal zwei Tage am Stück streiken ist der Wunsch nach diesem Lohnniveau IMO sogar noch höchst moderat und bescheiden. Inzwischen ist man ja auf 10% runter – aber eben echte und entsprechendes drumrum, und nicht die Mogelpackung, die die Bahn als 10% verkauft. Ganz so „stur“ wie gerne kolportiert wird ist die GDL also garnicht.
Das Problem der Bahn: wenn die Lokführer einen besseren Vertrag bekommen als die Transnet ist deren Abschluss nachträglich hinfällig (die Klausel zumindest steht beim Transnet-Abschluss drin – IMO freilich als Rechtfertigung gedacht für eine „harte Linie“ gegen die GDL, nicht etwa tatsächlich zu Gunsten der Transnet-Mitglieder). Dazu kommt natürlich, dass man „privat“ weniger attraktiv ist, wenn man eine starke Gewerkschaft „im Haus“ hat. Zwei gewichtige Gründe, mit allen Mitteln (ich mein: wie lächerlich ist das denn, Zeitungsanzeigen zu schalten mit der Behauptung, man habe „10% mehr Lohn“ geboten – die Sternchentexte, die da nötig wären, das ganze noch halbwegs „ehrlich“ zu machen dürften das 10-fache dessen sein, was unter Handyvertragswerbung steht, wenn ich das mal so sarkastisch sagen darf…) gegen die GDL zu agitieren anstatt sich mit ihnen tatsächlich zu einigen. Eine Einigung kann (noch) nicht gewollt sein.
Mir scheint, dass Politik, Wirtschaft und Medien zur Zeit nahezu ausnahmslos (die FR mag eine rühmliche Ausnahme sein) an einem neuen Bild vom Streikrecht als so etwas wie einem bloßen (geduldeten) Demonstrationsrecht basteln: Streiks sind schlecht, weil sie ökonomische Auswirkungen haben können.
Dass von Seiten des DGB und der Groß-Gewerkschaften in dieser Angelegenheit nicht viel Kritisches kommt, erscheint mir einleuchtend, insofern ich deren Führungsriegen inzwischen für naht- und reibungslos austauschbar mit den Führungsriegen der Unternehmerverbände halte.
Seit der Ostblock zerbröselt ist, läßt der Kapitalismus mehr und mehr die Maskerade fallen: Das vormals so laute Pochen auf Bürger- und Menschenrechte erweist sich in (mich geradezu obszön anmutender) Selbstentlarvung als einstige und ledigliche Pose, hinter der offenbar niemals genug wirkliche Überzeugung stand. Viele längst sicher und selbstverständlich geglaubte soziale Standards, die in langen zähen Kämpfen errungen worden waren, z.T. über Jahrhunderte, werden weggemüllt wie Altpapier.
Einem Mehdorn sind die Arbeitsbedingungen der Menschen in den Loks so schnurzegal wie die Leute in den Waggons und auf den Bahnsteigen. Der schleimt dann schonmal das Merkel im Jet voll – jedes Mittel ist recht (und man muß sich wohl über verbliebene Gesetzte freuen, die solchen losgelassenen „Global Playern“ überhaupt noch Einhalt gebieten gegen die zu Global Payern Degradierten).
Den allermeisten Medien, trunken vor Selbstwichtigkeit ob der Scheinrealität, die sie mit ihren Brot-und-Spiele-Stories schaffen, gelingt in entscheidenden Themen (so solche überhaupt in die Blätter und auf die Mattscheibe kommen) längst nicht viel mehr als tendenzielle „Hofberichterstattung“.
Ich fürchte, du hast recht, Sven: Die Aufklärung ist vorbei.
Aller Tage Abend? Nein, mein Land. Noch denken Menschen, und erinnern sich. Und träumen: immer weniger allerdings „nur so vor sich hin“.
„There’s a limit to everything.“
Ihr Herren der Schöpfung… fürchtet das Volk!
und das partikularinteresse kann, wie dieses beispiel zeigt, letztlich mehr dem sozialen, aufgeklärten gemeinwohl dienlich sein, als ein zuvor benanntes VERMEINTLICHES gemeininteresse (bestimmter lobbygruppen), denn wer definiert, was ein gemeinwohl ist…