Was über Jahre hinweg kein Journalistenprofi geschafft hat – oder sich nie traute – stellten nun ein paar Studenten bei einem Besuch von Condoleeza Rice an der Stanford University bloß: Rice hat neben einem höchst seltsamen Geschichtsverständnis das Verhalten der Beteiligten in der Kommandokette der Bush-Administration in Bezug auf die Folterpraktiken der USA als eines entlarvt, das man wohl eindeutig als „Schreibtischtäter-Verhalten“ bezeichnen muss. Rices Ansicht nach habe sie keine Folter erlaubt, weil ihre Anweisungen „vom Präsidenten authorisiert worden“ seien und sie deshalb nicht „gegen die Vorschriften […] verstoßen“ habe.
[…] by definition if it was authorized by the President, it did not violate our obligations under the Convention against Torture […]
Wenn ich das richtig einschätze, glaubt sie relativ verzweifelt selber daran, dass sie „rechtens“ gehandelt habe und Gesetzestexte und entsprechend ausgelegte Anweisungen von „oben“ alles so rechtfertigt, dass sie keinerlei Verantwortung – oder gar Schuld, deren Natur es ist, dass diese stets beim anderen zu liegen hat – für ihre eigenen Handlungen zu tragen habe, da sie ihre Handlungen in der „Rechtssicherheit“ von Vorschriften und Anweisungen und deren Auslegungen und Interpretationen begangen haben will.
Damit steht Condie letztlich aber nur in der Tradition der auch hierzulande grassierenden Methode, Entscheidungen in einer rein bürokratisch gedachten Art und Weise rein „juristisch“ legitimieren zu wollen (Hierzulande werden nach diesem Muster zum Beispiel aus menschlicher Sicht völlig wahnwitzige Abschiebungen begründet).
Also die Vorschriftengemäßheit einer Handlung – indem sie so in vorhandene Gesetze, Vorschriften und Anweisungen „eingepasst“ wird, dass keine Anweisung, Vorschrift oder Gesetz verletzt worden ist – wird als alleiniger Maßstab für die ethisch-moralische Bewertung der Tat genommen. Juristische „Rechtmäßigkeit“ (wobei über eine solche bekanntermaßen meißt ja auch stets gestritten werden kann, da man auf diesem Gebiet alles so oder so auslegen kann, dieses Rechtsverständnis steht wohl in der guten Tradition der christlichen Bibelauslegung, die auch alles, was sie möchte, mit irgendeinem Bibelzitat begründen kann, inklusive des völligen Gegenteils) wird mit Gerechtigkeit verwechselt. Oder gar, wenn es richtig zynisch wird, fehlende Gerechtigkeit damit gerechtfertigt und manchmal gar mit den Worten „aber so sind nunmal leider die Vorschriften“ bedauert.
Die interessanten Teile, auch in Hinblick auf Condies „Vergesslichkeit“ gegenüber Aussagen des Roten Kreuzes (PDF) und ihrer Auslegung, wer bei ihr so alles die OSCE repräsentieren darf, hat Thomas Nephew hier nochmal schriftlich (englisch) festgehalten und kommentiert, aber weil ich oben etwas vom „seltsamen Geschichtsverständnis“ schrob will ich diese Perle der Rice’schen Historiendeutung noch schnell nachliefern:
1ST QUESTIONER [3:30]: …even in World War II, as we faced Nazi Germany, probably the greatest threat that America has ever faced, even then…
RICE [3:37]: With all due respect, Nazi Germany never attacked the homeland of the United States.
1ST QUESTIONER [3:44]: They bombed our allies.
RICE [3:46]: Just a second. Three thousand Americans died in the Twin Towers and in the Pentagon.
1ST QUESTIONER [3:52]: Five hundred thousand died in World War II, and yet we did not torture the prisoners of war. […]
Achso, ich erinnere daran: es stellen sich aktuell zwei Menschen in Deutschland zur Wahl zum Bundeskanzler, von denen die eine, wäre sie damals schon an der Macht gewesen, Deutschland am Irakkrieg beteiligt hätte, und die sich an Bush ranschneckte und ihm versicherte, mit ihr wäre ihm so ein Desaster wie mit Schröder nicht passiert (das war echt das einzige, was dieser Typ richtig gemacht hat) und deren Innenminister ebenfalls kein Problem mit Folter zu haben scheint, solange es jemand anderes tut. Und der andere dafür verantwortlich ist, dass ein deutscher Staatsbürger, der von der CIA entführt, gefoltert und nach Guantanamo verschleppt wurde, dort um Jahre länger festgehalten wurde als „nötig“ – oder auch nicht, denn man weiß ja, „die Vorschriften“ und „alles im gesetzlichen Rahmen“ und so…. Für mich macht das beide – nicht nur aus diesem Grund, aber wenns sonst nichts gäbe, würde es auch reichen – unwählbar.
Was auch anwidert, ist ihre herablassende Art den zwei Studenten gegenueber — was gleich beim ersten Wort beginnt: „First of all, you do what’s right.“ Als ob sie davon eine Ahnung haette.
Auch das Orwellisches(?) Gebrauch von Phrasen wie „enhanced interrogation“ — zwar keine Ueberraschung, aber man will es einfach nicht mehr hoeren.
Auch das gewollte Unverstaendnis, als der erste Student ihren Abu Ghraib Aussagen widerlegen wollte. Sie behauptete, Abu Ghraib war zwar „wrong“, aber nicht „policy.“ Als der Student bemerkt dass „the information that’s come out since then speaks against that“, meint Rice: „No, no: the information that continues to come out since then continues to say that Abu Ghraib was wrong.“ Aber der Student hat nicht behauptet dass A.G. *gut* war, sondern dass es schon „policy“ war, oder eben ein Auswuchs von Gitmo „verschaerfte Vernehmungsmethoden“ war.
Auch….. kann es nicht auf Deutsch: she just f***ing drives me up a wall.
Ja, sie ist ein Musterbeispiel modernen Newspeaks. Wir haben von der Sorte auch Haufenweise. Und ja, solche Leute lassen mich auch platzen vor Wut.
Die herablassende Art der Möchtegern-Eliten gegenüber dem niederen Volk ist ja eh selbstverständlich, früher hat sich ja auch kein Adliger vor dem Bauern rechtfertigen müssen. Bevor die Franzosen auf diese blöde Idee mit der „Gleichheit“ kamen, vor 220 Jahren…
Historische Anmerkung: der Euphemismus „verstärktes Verhör“ („enhanced interrogation“) für „Folter“ wurde meines Wissens schon von der Inquisition in den Ketzerprozessen gebraucht – ebenso das Prinzip „nicht selbst foltern, aber die erfolterten Geständnisse nutzen“ – dafür war in den Inqusitionsprozessen ausdrücklich der „weltliche Arm“ zuständig.
Es ist ernüchternd und ermüdend, zu sehen, wie sich solche Konstrukte im autoritäres Denken immer und immer wiederholen.
Frau Rice ist echt unglaublich. Ich kann gar nicht soviel essen, wie ich kotzen will. Das Denken in Vorschriften als ethischer Kategorie, das sie vorführt, gibt es auch hierzulande.
@Martin: deinen Vergleich mit der Inquisition finde ich sehr zutreffend.
Na dann etwas wieder aktuell gewordenes von 1976
http://vimeo.com/2534758
Richard Nixon:
„If the president does it, it’s not illegal.“
genau. Da könnt ja sonst jeder komm‘.