Schlagwort-Archive: Angst

Perspektivlosigkeiten

Im November letzten Jahres habe ich meinen letzten Blogartikel „Perspektiven“ geschrieben. Der machte ziemlich die Runde, in einem Maße, das ich so überhaupt nicht erwartet hatte (mein Statistik-Tool behauptet, dass er etwas über 100.000 mal gelesen worden sei, selbst mit Mehrfachaufrufen ist das mein meistgelesener Artikel seit ich blogge) und ich bekam viel und zum deutlich überwiegenden Teil positives Feedback, das mir zeigte, dass ich vielleicht nicht allen im Lande, aber einem nicht wirklich kleinem Teil der Leute da aus der Seele sprechen konnte.

Inzwischen ist einiges an Zeit vergangen, Trump hält die USA in Atem, so dass dortige politische Satire kaum mehr hinterherkommt, jeder neue Skandal, jedes neue „Low“ wird am nächsten Tag schon wieder unterboten, so dass all die Skandale garnicht aufgearbeitet werden können. Was ja vielleicht auch eine Taktik ist – bis überhaupt die Tragweite des einen Skandals auch nur halbwegs erkannt werden kann eine neue Sau rauslassen, und Zack, ist der vorangegangene Skandal schon wieder raus aus den Schlagzeilen. Der Sohn gibt offen einen Gesetzesbruch zu? Einfach mal Nazis gut finden, schon redet kein Mensch mehr drüber. Oder einen Atomkrieg andeuten. Die News der letzten Woche sind gefühlt Jahre her, so sehr sind sie schon ein paar Tage später aus der Erinnerung verdrängt.

Das politische Rechtsaußen-Spektrum hat das als funktionierende Strategie erkannt, bei uns macht das die AfD ja auch schon von Anfang an, inklusive dem Setzen von Narrativen, die ihnen eine Opferrolle zuweist, die wahlweise behauptet, mundtot gemacht zu werden (obwohl es, weils so schöne Quoten macht, keine Talkshow gibt, die sich nicht mindestens einen AfD-Vetreter ins Studio holt, weil die so schöne kontroverse Sachen sagen, das dann in der Folge dafür sorgt, dass am nächsten Tag tolle, klick-trächtige Artikel geschrieben werden können, über die man sich wahlweise aufregen darf oder einfach den braunen Dreck nachplappern als wärs das Normalste der Welt und damit die AfD mehr kostenlose Medienpräsenz hat als alle anderen Parteien – auch das hat ja in den USA für Trump schon genauso funktioniert) oder dass man „Fake News“ über sie verbreite, weil sie ihre Tabubrüche natürlich nie so gemeint haben, wie man sie berichtet (und natürlich freut sich deren Klientel, weil die genau wissen, dass das natürlich doch genau so gemeint war, aber sich diebisch freuen, wie sich ihre Helden und Heldinnen da jedesmal „geschickt“ wieder rauswinden).

Und wenn dann auch noch die BILD munter mithetzt freuen sich die Rechten grade nochmal, dass ihr Pseudothema „relevant“ bleibt, obwohl es das in der Realität überhaupt nicht ist.

Aber gut, DAS alles war ja zu erwarten, wie gesagt, diese Strategien des rechten und braunen Randes sind ja so alt und bekannt wie vorhersehbar (außer, wie es scheint, von den Medien, die sich regelmäßig von denen instrumentalisieren lassen, Lichtenhagen ist über 20 Jahre her und sie haben nichts gelernt).

Mir geht es, wie schon im November, nicht um das Wählerpotential des rechten Randes, denn das ist ja mehr als versorgt, auch nicht um die, deren Interesse die Erhaltung des Status Quo ist, denn auch die sind versorgt, sondern um die Wähler, die weder nach 1932 zurück wollen noch mit dem Status Quo zufrieden sind. Entgegen der letzten Schlagzeilen, die behaupteten, es gäbe „keine Wechselstimmung“, bin ich nach wie vor der Meinung, dass dieser Wähleranteil kein kleiner ist. Perspektivlosigkeiten weiterlesen

Perspektiven

Im Juni Brexit, jetzt Trump, in Europa feiern die rechten Populisten ebenfalls Wahlsieg auf Wahlsieg und überall in den Medien, den „etablierten“ Parteien und auch im eigenen pluralistisch und humanistisch denkenden Freundes- und Bekanntenkreis fragt man sich „Wie kann das passieren?“

Ein bisschen erinnert mich diese Frage an genau die Fragen, die ich dereinst meinen Großeltern und anderen Verwandten im entsprechenden Alter stellte, als ich im jugendlichen Überschwang nicht verstehen konnte, wie es passieren konnte, dass ein hasserfüllter kleiner Popanz und seine hasserfüllte Clique von rassistischen Kackbratzen in Deutschland an die Macht gewählt werden konnte, obwohl diese mit ihrer Geisteshaltung ja wirklich nicht hinterm Berg hielten, und ich andererseits meine Verwandtschaft jener Generation nicht als hasserfüllte dumpfe Rassisten kannte sondern als Menschen, die sich um andere sorgten, Gewalt verabscheuten und sich in der direkten Begegnung stets empathisch und mitfühlend gegenüber jedem Menschen zeigten, egal welcher Hautfarbe oder Herkunft. Perspektiven weiterlesen

Apokalyptiker an der Macht

Ich lagere hier mal einen Gedanken, den ich im Gesichtsbuch als Kommentar schrob auf die Frage nach der Motivation von Überwachung und Kontrolle der eigenen Mitbürger in sich selbst als „freiheitliche Demokratie“ bezeichnenden Ländern, die aufkam, als diese Praxis mit der totalitärer Staaten verglichen wurde. Der Gedanke ist schon sehr alt, ich hatte ihn hier schon im Jahre 2006(!!!) angedeutet, aber noch nicht so ausformuliert wie im Folgenden. Ja, ich schreibe auf jeden Fall noch einen längeren Artikel zum Thema Überwachung. Genau deshalb werfe ich diesen Gedankengang schon mal hier hin, um mich später noch mal drauf beziehen zu können.

Die Motivation [für Überwachung in einem demokratischen Staat] ist in der Tat eine andere [als in einer totalitären Diktatur], und die Motivation ist es auch am Ende, die ein Ergebnis immer mitbestimmt – wir leben (zum Glück) nicht in einem Terrorregime, in dem Überwachung ein Mittel von vielen ist, bzw. als Werkzeug eine Voraussetzung, um programmatisch und „gewollt“ Menschenrechte zu unterdrücken und Macht totalitär und absolut zu erreichen und zu erhalten.

Die Überwachung, wie wir sie heute erleben (und noch bis zum Beginn der 90ger niemals für möglich gehalten hätten, würde ich meinem jüngeren Ich erzählen, was heute abgeht, ich hätte es mir nicht geglaubt, weil ich nie geglaubt hätte, dass „wir“ das zugelassen hätten) hat andere Motivationen: sie spiegelt auf der irrationalen Seite eine Angst vor Kontrollverlust wider, oder aber auch den Glauben, dieser Kontrollverlust sei abwendbar, es ist die Angst alter Männer vor dem Tod und dem „jüngsten Gericht“, die Angst, „Schuld“ zu sein, weil man „nicht alles getan“ habe, aber auch ein Zeichen voranschreitender Technokratie, die ähnliche Motive zum Hintergrund hat, denn technokratische Systeme entheben den einzelnen Menschen seiner Verantwortung und produziert „Schreibtischtäter“ ohne eigenen Willen, die sich ja „nur an Vorschriften gehalten haben“. Ein Zeichen dafür ist die ständig wiederkehrende Argumentation, dass ja „alles gesetzlich geregelt“ sei und damit auch „rechtens“ – dass Gesetze einfach „falsch“ sein können ist da nachrangig. Friedrichs „Supergrundrecht“ spricht da auch Bände. Die Menschenrechte sind da Kollateralschaden, nicht Ziel.

Politik heute ist keine Vision mehr, keine Zukunftsgestaltung, kein Gesellschaftsbild, sondern nur noch Verwaltung und Beharren auf einen Status Quo – „Haltet die Welt an“, aber sie dreht sich eben dennoch weiter.

Die Angstspirale dreht sich ebenso weiter, ein weiteres Signal dafür: der Umgang mit den diversen „Finanzkrisen“, die die unglaublichsten Schreckensszenarien heraufbeschwört, sollte man es nicht schaffen, alles so zu lassen wie es ist, die Möglichkeit, dass eine Veränderung auch eine zum Besseren sein könnte wird nicht einmal mehr als utopische Hoffnungs-Option angenommen, es gibt sie schlicht nicht, die einzige gute oder bessere Zukunft wird in der Vergangenheit gesehen, aber da war ich schon, die war nicht besser. Nur anders.

Das alles erinnert mich an das erste Jahrtausend unserer Zeitrechnung, als das „römische Reich“ auf Teufel komm raus erhalten wurde, selbst als es schon lang nicht mehr existierte sondern irgendein irgendwas nur noch dessen Namen trug, weil man glaubte, dass der Untergang des römischen Reiches das Zeichen sei, dass die Apokalypse käme und man deshalb „trickste“, nach dem Motto: „Schau, es ist doch noch da“ – und wenn nur als Formalität.

Yoda hat recht, wenn er sagt, dass Furcht die größte Gefahr ist, die es für die menschliche Seele gibt.

 

Jetzt dreh’n sie völlig ab

Gestern kurz in die Nachrichten gezappt und festgestellt, dass mal wieder eine Panikwelle anläuft, um vielleicht doch noch vor der Wahl die Bürgerrechte auszuhebeln und dieses komische „Grundgesetz“ doch noch in den Orkus zu befördern. Das Prinzip, dass man als unschuldig gilt, solange eine Schuld nicht bewiesen ist wird mit dem Prinzip ersetzt, dass jeder Schuldverdächtig ist, dessen Unschuld noch nicht bewiesen ist. Also rund 88 Mio Menschen hier in Deutschland.

Und wenn das endlich durchgesetzt ist ist der Schritt, als tatsächlich schuldig zu gelten, weil man noch keinen amtlichen Gesinnungstest absolviert hat auch nicht mehr weit?

Jedenfalls: Im Moment wird mal wieder das Terror-Gespenst an die Wand gemalt, und dass dazu Anschläge herhalten müssen, die schon Jahre her sind, in Ermangelung „frischer“ eindrucksvoller Bluttaten scheint dem willfährigen Qualitätsjournalismus, der die aktuelle Kampa „Terrorgefahr 2009 – jetzt geht’s lo-hos“ verbreitet und mitspielt als gäbe es keine echten Probleme im Land, mal wieder überhaupt nicht aufzufallen.

Die Strafbarkeit „vorverlagern“ euphemisiert man also jetzt, wenn der Rechtsstaat zu einem totalitären System umgebaut werden soll.

Und die Sozen?

„Keiner muss Angst haben vor dem Gesetz, da die Verdächtigen im Zweifelsfall natürlich freigesprochen werden.“

Hallo????

Zum einen: wie zynisch ist das denn? Willkürlich mutmaßlich unschuldig verhaftet, wer weiß wie lange „präventiv“ eingesperrt (zumindest solange bis der Job weg ist?), wie ein Verbrecher behandelt werden, usw. ist nichts, wovor man Angst haben muss, weil man „am Ende ja freigesprochen wird???

Zum anderen: kann mir jemand beim derzeitigen Bezahl-Rechts-System garantieren, dass ich, wenn ich unschuldig verhaftet und „vorverlagert“ wie ein Straftäter behandelt werde, wirklich am Ende „freigesprochen“ werde? „Werde“ impliziert eine Sicherheit, die ich dem heutigen Rechtssystem kaum zugestehen kann, geschweige denn einem, das nicht mal mehr so tut, als ob es die Rechtsprinzipien, die im Grundgesetz stehen, noch respektiert, bzw. dazu im krassen Kontrast stünde.

Ein Kurnaz oder ein Andrej Holm jedenfalls lassen mich da durchaus zweifeln, ob man da „keine Angst“ haben müsse. Nachtrag:: und ich will nicht wissen, wie dann schon nur solche Bagatellfälle unter einem geänderten Rechtsverständnis ablaufen.

Das ist nämlich eher wie die Hexenprobe: Fesseln und ins Wasser werfen, wenn sie schwimmt ist sie eine Hexe, wenn sie untergeht war sie keine Hexe. Dann wird sie auf dem geweihten Teil des Friedhofs begraben und gilt als „in den Himmel gekommen“.

Der nächste Schritt ist die Logik der Inquisition, die besagte, dass der Umstand, dass man vor die heilige Inquisition zitiert wird, schon Beleg der Schuld ist, denn jemand, der unschuldig ist wäre von einer heiligen Instanz ja nie angeklagt worden.

Was meinte Schäuble dereinst mal in ebendieser Logik sinngemäß zum Bundestrojaner? „Ich habe da garkeine Angst, da ich ein anständiger Mensch bin und anständigen Bürgern schickt das BKA keinen Bundestrojaner“ oder so ähnlich?

Ich neige nicht zu Verschwörungstheorien. Ich bin jemand, der vom Prinzip überzeugt ist, dass man keine Verschwörung oder auch „nur“ Intention vermuten braucht, wo Diletantismus, Dummheit und/oder Unfähigkeit als Erklärung völlig ausreichen.

Aber so langsam frage ich mich ja schon, was diese nunmehr seit Jahren unvermindert vehemente Tendenz zu Überwachung, Repression, Aufkündigung der Gewaltenteilung, Ermöglichung von Willkür und Abbau von Kontrolle zu Gunsten der Exekutivgewalten, bis hin zur immer wieder geforderten Freigabe der Bundeswehr für „Einsätze“ im „Inneren“ – was ja logisch nur heißt: Anerkennung, dass das eigene Volk als Feind definierbar ist, denn ein „Verteidigungsfall“ bedeutet ja, dass gegen einen Feind zu kämpfen sei, und „innen“ heißt nunmal: Wir!

Ich ertappe mich aber immer öfters, gerade auch bei der parallelen Beobachtung der aktuellen Wirtschaftsverbrechen (vulgo: „Bankenkrise“ oder „Wirtschaftskrise“ genannt) und dem Umgang mit diesen bzw. der Beobachtung der weiter rapide aufklaffenden Schere zwischen Reich und Arm, dass mir Gedanken aufkeimen, Verdächte, dass es da Zusammenhänge geben könnte, die mit der Angst eines verarmenden Mittelstandes zu tun haben könnte, der Wut eines mehr und mehr chancenlosen „Prekariats“, der Ignoranz und Arroganz welt- und lebensferner „Eliten“, denen das Zitat des „dann sollen sie doch Kuchen essen“ durchaus zuzutrauen wäre usw… Man könnte wirklich meinen, dass da jemand Angst vor Aufständen oder ähnlichem hat und sich schonmal Werkzeuge und Möglichkeiten zurecht legen will, mit sowas „umgehen“ zu können…

Nein, warum sollte es denn hierzulande Aufstände geben, das ist ja absurd. Noch will ich einfach an Dummheit und irrationale Ängste glauben. Denn würde ich tatsächlich anderes für realistisch halten – nein, das will ich nicht einmal denken.

Noch.