Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld hat eine Studie über die Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen in Deutschland (PDF) veröffentlicht, die belegt, dass Fremdenfeindlichkeit in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat und findet die Ursache dafür vor allem in Zukunfts- und Existenzängsten, die primär mit diesen „Fremden“ nichts zu tun hat, so dass hier also eine Projektion vorliegt. Das Gefühl „nichts tun“ zu können weil man keine Teilhabe an demokratischen Prozessen mehr habe, aber auch mangelnde Integration sowohl in den Bereitschaften als auch den Möglichkeiten verstärken offensichtlich die Bereitschaft, einen Sündenbock für die eigene Lage zu suchen, der im „Fremden“ gesucht und gefunden wird.
Das Phänomen, das das IKG „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ nennt, wird in verschiedenen laufenden Projekten, die sich dem Thema sowohl theoretisch als auch ganz praktisch nähern, auf eine Weise beackert, wie ich sie sonst nirgends in dieser Genauigkeit gefunden habe, und die Ergebnisse der abgeschlossenen Einzelprojekte sind schon für sich interessant.
Aber erst im Zusammenhang mit weiteren Ergebnissen und Hintergründen werden tatsächliche Ursachen und auch Auswirkungen deutlich, die viel mit einer Gesellschaft in Angst und Ohnmachtsgefühlen zu tun hat und wenig mit irgendwelchen vordergründigen Sündenböcken, die Politik und Ideologien als vermeintlich einfache Lösung für durchgreifende gesellschaftliche und soziale Probleme anzubieten haben.
Ja, die hier verlinkten Beispiele haben nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Das ist aber Absicht: Fremdenfeindlichkeit ist ein Symptom für ein tiefgehendes Problem sowohl der Gesellschaft, aber auch der politischen Klasse. Dass die vordergründigen Themen bei gleicher Grundproblematik so austauschbar sind belegt IMO deutlich, dass diese vordergründigen Aufhänger und Projektionsmechanismen nichts mit den tatsächlichen Problemfeldern zu tun haben – sonst wären sie nicht so beliebig austauschbar. Die Suche nach Schuldigen löst nunmal keine strukturellen Probleme.
Die bisherigen Ergebnisse und Rückschlüsse werden hier verständlich zusammengefasst. Das Fazit beschreibt soziale Entwicklungen und Phänomene, auf die bislang seitens der Politik kaum reagiert wird, im Gegenteil: die liefert nurmehr immer neue Sündenböcke, auf die sich diese Angst und Unsicherheit projezieren soll. Und lenkt damit auch nur vom eigenen Versagen ab:
[…] Seit dem Beginn der Erhebungen in 2002 sind die Ängste um die eigene soziale Situation deutlich angestiegen, ebenso wie das Gefühl politischer Einflusslosigkeit.
Angst verbindet sich mit einer drastisch gestiegenen Orientierungslosigkeit darüber, was zu tun ist (ca. 63%), wo man steht (ca. 64%). Dies gilt inzwischen auch in den zahlenmäßig breiten mittleren Lagen, also in der sozialen und politischen Mitte der Gesellschaft.
Insbesondere soziale Desintegration als Abstiegsängste und Orientierungslosigkeit haben zur Folge, dass das Potential für rechtspopulistische Propaganda gegen Fremde, Juden und für härtere Bestrafungen etc. von 2002 mit 20% auf 26% in 2005 angestiegen ist.Das Auseinanderdriften von ökonomischer Entwicklung und gesellschaftlicher Integration hat sozial zerstörerische Folgen. Das machtlose Verzagen gegenüber den Starken in der Gesellschaft ist verbunden mit Artikulation der Ungleichwertigkeit gegenüber Schwachen, wie z.B. Fremde, Muslime, Homosexuelle, Obdachlose, Juden. Insbesondere die konkurrenzorientierte Fremdenfeindlichkeit und das Einfordern von Etabliertenvorrechten steigen seit 2002 an. Dies dient einer Demonstration von Überlegenheit, Selbststabilisierung und Selbstaufwertung in unsicheren Zeiten.
Unklar sei, wohin die Entwicklung der Folgen eines überwältigenden Kapitalismus führt, zumal bereits 2003 fast 82% in der Bevölkerung glaubten, dass letztendlich die Wirtschaft und nicht die demokratisch legitimierte Politik entscheidet, mitsamt den Folgen für die Integrationsqualität dieser Gesellschaft und die Anerkennung schwacher Gruppen. […]
Muss ich mich eigentlich wundern, dass die mediale Berichterstattung vor allem in ihren Schlagzeilen zu einem großen Teil gleich wieder nur auf Polaritäten (hier Ost und West) abfährt und selten genauer hinschaut, was diese Zahlen da eigentlich an Grundproblematiken wiedergeben und damit grade die Tendenz der Wahrnehmungsfilterung unterstützen, die den Boden für die beschriebene Symptomatik liefert?
rafael meint dazu:,
14. December, 2006
@ 15:38
Danke fürd den spannenden Bericht! Ich komme aus der Schweiz uund habe auch schon Posts veröffentlicht in Bezug auf die zunehmende Ausländerfeindlichkeit. Und ich finde, dass das ein akkutes Problem darstellt. Die Gründe mögen vielfältig sein aber gerade im Rechtspopulismus und bei Jungen muss dringed Gegenruder gegeben werden!
Sven meint dazu:,
15. December, 2006
@ 19:56
@jess (dessen „Kommentar“ ich nicht freigeschaltet habe): wenn du mehrseitige Pamphlete ablassen willst, dann eröffne ein eigenes Blog. Meins ist keine Plattorm für dümmliche Polarisierungs-Rethorik xenophober Vorurteilsnachquatscher.
@jeden weiteren (oder gleichen unter anderem Namen) Kommentator, der hier versucht, einen ad hominem-Kommentar gegen einen der Initiatoren dieses Projektes abzuladen: vergiss es, der Versuch, nachvollziehbare Ergebnisse umfassender Forschungsprojekte dadurch relativieren zu wollen, einen beteiligten Forscher auf persönlicher Ebene „schlecht“ zu machen, indem man ihm (wie das dafür üblich ist) „persönliche“ Intention zu unterstellen sucht (natürlich hat jeder Forscher persönliche Intentionen: nämlich das Interesse an seinem Forschungsgegenstand. sonst würde er was anderes beforschen oder angeln gehn) ist durchsichtig, langweilig und natürlich für das Thema und seine Hintergründe völlig ohne Belang.
Drum wird sowas auch in Zukunft nicht den Spam-Ordner verlassen.
Du magst dämlich genug sein, auf solcherlei unsachliche Pseudo-„Argumentation“, deren einziger Zweck pure Ablenkung sein muss, reinzufallen. Aber halte bitte nicht jeden anderen für ebenso dämlich wie du es bist!
Dr. Dean meint dazu:,
17. December, 2006
@ 22:51
Ich mag den Begriff „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ und so manches, was dieses bielefelder Institut veröffentlicht. Leider aber ist die Studie methodisch schwach, ja, sogar sehr schwach. Es wird ii.d.R. zumeist mit einer einzelnen (!), ohnehin fragwürdig gestalteten Frage gleich eine ganze Kategorie politischen Denkens beim Befragten, ähem, erforscht.
Bei dieser Studie fehlt, sorry, jedes ernst gemeinte Erkenntnisinteresse, adäquates Differenzieren und Nachforschung, geschweige denn ergänzende Forschung im Feld, um aufgeworfene Fragestellungen besser beantworten zu können. Das wissenschaftliche Gegenteil ist der Fall, die ganze „Studie“ ist in meinen Augen reine Effekthascherei, die Fragestellungen sind sogar auf maximale Skandalisierung des erhaltenen Ergebnisse designt.
So gut dies alles letzlich auch gemeint sein mag: Ich hasse derartig liederliche sozialwissenschaftliche „Studien“.
Dass es bei den meisten Fragestellungen (nein: allen!) für den Befragten nicht einmal die Antwortmöglichkeit „weiß nicht“ gab, auch dies dient in erster Linie weniger dazu, die Wirklichkeit abzubilden, sondern vielmehr dazu, am Ende möglichst skandalöse Prozentzahlen zu erhalten.
Noch übler: Das bielefelder Institut hat aus der bereits in der Vergangenheit geäußerten Kritik nichts gelernt, und suhlt sich, wie ich finde unverantwortlich, im vermeintlchen Glanz des massenmedialen Interesses.
Ich meine: Man hätte mit einer sorgfältiger und vor allem wissenschaftlich einwandfreier designten Studie in vielen Bereichen differenziertere, wirklichkeitsnähere und teils sogar diametral völlig entgegen gesetzte Ergebnisse erhalten.
Diese Chance wurde vertan.
Sven meint dazu:,
18. December, 2006
@ 01:13
Stimmt, rein wissenschaftlich gesehen gibt es da methodische Schwächen, wobei ich das „möglichst skandalöse“ da nicht so recht finden kann, genau genommen finde ich eben die medialen „Skandale“ gerade dort so nicht wieder (ich erwähnte ja die sonderbaren Überschriften „Ost vs. West“, gerade diesen „Fokus“ finde ich in den Studien selbst nicht, auch wenn deren Zahlen das sogar hergäben), insoweit kann ich der Schwere deiner Kritik nicht ganz folgen. Was ich dort finde und wie das dann in den Medien rezipiert wird bekomme ich für mich als außenstehenden Betrachter nicht zusammen.
Die grundsätzlichen Überlegungen, vor allem eben zu Fragen nach demokratischen oder auch gestalterischen Teilhaben (bzw. auch „nur“ das Gefühl davon) erscheinen mir allerdings – auch aus eigener Erfahrung, z.B. in dem Mikrokosmos von Vereinen, in denen ich genau das (Hierarchieetablierung, Verdrossenheiten, Frust, Konsequenzen daraus) erlebt habe – sehr plausibel.
Dass man Statistiken natürlich grundsätzlich auch mit einem relativierendem Auge betrachten muss, ja, das ist natürlich auch klar. Gerade auch dann, wenn Zahlen „zu“ absolut werden. Aber hier sehe ich „Fehler“ durchaus in den Details, für die Grundtendenzen finde ich die Datenbasis ausreichend – als jemand, der hier weniger nach „wisenschaftlicher Exaktheit“ hinterm Komma sucht (und dem es deshalb ziemlich wurscht ist, ob Verhältnisse grob 30 zu 70 sind oder 23,678 zu 67,638 zu Rest „unentschieden“) sondern nach einer hinreichenden groben Basis, um eine grobe Richtung zu haben, in die genauer hinzuschauen sich dann mal lohnt. Gegenüber plumpen Stammtischsprüchen brauche ich keine hochdetaillierte und komplexe Zahlenbasis auf drei Stellen genau sondern einen klare Alternative, die durchaus erstmal ein ähnlicher Scherenschnitt sein darf wie die populistischen Sprüche am Stammtisch auch.
Oder ist „Wirklichkeitsnah“ erst dann erreicht, wenn man wirklich jedes Detail und jeden Einzelfall in die Relationen mit reinrechnet? Wenn ich sag „die Sonne scheint“ kann der Himmel Wolkenlos bis halb bedeckt sein, aber wichtig ist erstmal festzustellen, dass die Sonne scheint, oder bin ich mit dieser Aussage nicht „wirklichkeitsnah“, weil ich die Information rud um den Sonnenschein „unterdrückt“ habe? Oder ist es nicht ertsmal so, dass welche Wolken, so doch zur Sonne noch welche da sind, das genau sind, Cirrus, Wölkchen, Schicht oder was auch immer, da erstmal wurscht ist, wenn es um die Frage „Sonne oder keine“ geht…
Was natürlich korrekt ist: methodische Ungenauigkeiten öffnen „ad homenem“-Kritikern, die mit dem Angriff auf das „Engagement“ oder gar den „Charakter“ der Betreiber versuchen, sämtliche Ergebnisse oder Überlegungen zu diskreditieren (finde den Detailfehler, am besten schon in der Persönlichkeit, dann kann man versuchen, alles andere ebenfalls mit ins Klo spülen) um den (logisch natürlich völlig daneben gehenden) Rückschluss zu provozieren, dass dann natürlich „die Wahrheit“ im Gegenteil der Aussage läge, deren Urheber man da gerade versucht, „unglaubwürdig“ zu reden, Tür und Tor. QED, ich hatte von dieser Sorte hier schon zwei Kommentare, die versuchten, mit einer solchen „Argumentation“ zu „belegen“, dass dann „natürlich“ das Gegenteil von „Multikulti“ das anzustrebende Ideal sei. Insoweit ist es in der Tat schade, dass sich da jemand ohne Not in dieser Form angreifbar macht, und das natürlich ist ein legitimer Kritikpunkt.
(Wird Zeit, dass ich endlich mal die Zeit finde, über diese Augustinische polare „Wahrheits“-Logik was zu schreiben, denn das ist ein dermaßen internalisierter Denkansatz in unserer Gesellschaft, der mich immer öfters zur Weißglut bringt. Schon fast schlimmer als diese Schuld-Scheiße.)
Aber wie gesagt: ich habe das hier ja nicht als Rezeption hochwissenschaftlicher Erkenntnisse zur Erbauung für Soziologen mit dem Anspruch an wissenschaftlicher Detail-Akkuratesse gesetzt, sondern eben, weil hier ohne völligem (und unverständlichem) Klein-Klein-Detail-Gefuddel in abgehobener Sprache und „intellektualisiertem“ Duktus ein paar ganz „normale“ (und für mich im Alltag nachvollziehbare) Dinge klar und deutlich zum Ausdruck kommen – und auch hinreichend plausibel, solange ich da keine Ansprüche anlege, die an anderen holzschnittartigen Darstellungen witzigerweise auch kein Journalist oder Politiker vermisst. Genau genommen ist das im Vergleich zu den anderen Holzschnitten, die so auf dem Markt sind, sogar noch kupferstichartig genau. Und damit genau genug.
„Chance vertan“ sehe ich deshalb nicht. Eher so rum: Schade, wenn man die Chance, hier mal auf auch für den „Normalmenschen“ verständliches und nachvollziehbares zurückgreifen zu können, vertäte, nur weil das Ganze halt nicht mit 1000%-gem Elfenbeinturm-Anspruch und mehr Fußnotentext als Inhalt, wie das für „wissenschaftliches“ eher „üblich“ wäre, vorliegt (und dann eh kein Otto-Normal mehr verstehen könnte, also was tät’s nützen wenn’s so wäre?). Wieso etwas verwerfen, das jeglichem Stammtischgelaber immer noch haushoch überlegen ist? Weil’s nicht reinweiß ist sondern an manchen Punkten ein paar graustichigkeiten zeigt? Auch ein Grauschleier auf einem weißen Stoff macht das Hemd, das draus genäht wird nicht schwarz, sondern es bleibt ein weißes Hemd. Und wenn ich eine schwarze Weste drüberziehe dann ist es sogar „richtig“ weiß, weil über den Kontrast der graue Schleier völlig in den Hintergrund tritt.
Sorry, aber da habe nun ich keinerlei Verständnis dafür.