Der kleine Einwurf von „metablogger“ in den Kommentaren zur Söllner-Verurteilung hat mich etwas ins Grübeln gebracht. Er bemerkte dort, dass die Gefahr bestehe, dass das Vergleichen der Naziverbrechen mit Dimensionen unserer kleinkarierten Politiker diese Verbrechen verharmlose. Im ersten Impuls gebe ich ihm da völlig recht, der Nazivergleich ist heutzutage schnell bei der Hand, und auch ich habe mich oft gestört gefühlt von dieser Inflation dieser Vergleiche, deren Häufigkeit mir als eine zunehmende erscheinen will.
Die Taten der „Nazigrößen“ waren in der Tat so ungeheuerlich, dass sich jemand schon sehr anstrengen muss, „vergleichbares“ zu bewerkstelligen, und ein Provinzpolitiker wie der Koch, der mit einer Unterschriftenaktion gegen Ausländer einen Wahlkampf in einem Bundesland betreibt – und ihn gewinnt, oder ein Gauweiler Stoiber (danke für die Korrektur, Felix) , der von einer „durchrassten Gesellschaft“ spricht – ist noch lange kein Göbbels, der sich vor die Menge stellt und die Juden als „unseren Untergang“ bezeichnet und die brennenden Synagogen der Kristallnacht bejubeln lässt.
Was aber, wenn man von der anderen Seite herangeht? Hitler, Göbbels, Göring und Co. waren letztlich auch „nur“ Menschen. Auch wenn das in der Retrospektive ob des immensen Schattens der Ungeheuerlichkeiten, für die sie verantwortlich zeichnen, aus den Augen gerät. Da stehen sechs Millionen und mehr Tote, Juden, Zigeuner, Systemgegner usw., die mit industrieller Akribie umgebracht wurden, und das macht jene, die dafür primär verantwortlich sind zu Übermenschen, die man mit „normalen“ Menschen nicht mehr vergleichen kann?
Ist es nicht vielleicht gerade gefährlich, diese normalen Menschen namens Adolf, Joseph, Georg, usw., so zu erhöhen und damit faktisch dem Zugriff des „Normalen“ zu entrücken, indem man sie zu Monstern und damit Über(un)menschen stilisiert und „entmenschlicht“?
Nimmt man sich damit nicht sogar das Bewusstsein darüber, dass es eben „normale“, mindestens so kleinkarierte Politiker wie manch einer unserer Tage, waren, die da agierten?
Die das nicht taten, weil sie „außergewöhnlich“ waren (sondern letztlich sogar schmerzhaft „normal“) sondern weil sie in eine Position kamen, es zu können? Weil sie „ermächtigt“ wurden dazu? Weil sie auch auf Grund solcher Ermächtigungen am Ende Kritiker endgültiger mundtot machen konnten als es heute hierzulande möglich ist?
Ich habe in der Frage des Nazivergleiches meine Meinung geändert. Ich denke, es ist höchste Zeit für Nazivergleiche.
Es kann garnicht genug verglichen werden, in Zeiten, in denen die Freiheiten und Rechtsstandards, die wir heute haben, im Namen der „Terrorbekämpfung“ und des „Schutzes der Freiheit“ immer weiter abgebaut werden und schon über die Ermächtigung dazu nachgedacht wird, die Armee im Landesinneren, also im Zweifel auch gegen die Bürger des Landes, für dessen Verteidigigung sie gedacht ist, einzusetzen. In denen ein Innenminister es „mit Sorge sieht„, dass das Bundesverfassungsgericht die Persönlichkeitsrechte „in Zeiten des Kampfes gegen den Terror“ seiner Meinung nach zu hoch ansetzt. In denen technisch ein Grad an Überwachung realisiert ist, der keine Blockwarte und Denunzianten mehr braucht und der jeden Menschen ersteinmal als grundsätzlich verdächtig voraussetzt.
Denn wenn wir solange warten, bis „normale“ kleinkarierte und spießige Stammtischquassler sich die Möglichkeiten so weit erweitert haben, dass auch sie (und die, die es ihnen ermöglichten!) zu neuen unvergleichlichen Ungeheuerlichkeiten ermächtigt wären, ist es zu spät für Vergleiche – denn dann ist es schon das Gleiche.
Gerade der Vergleich führt zur Erkenntnis: es ist geradezu „normal“, das, was möglich ist auch soweit zu nutzen und nutzen zu wollen, wie es möglich ist.
Die Nazizeit (und der Weg dahin) ist Geschichte, die besser nie passiert wäre. Aber sie ist passiert, und das einzige, was man nun damit anfangen kann ist, keine Wiederholung mehr zu zu lassen. Das erreicht man nicht, indem man sie als Einmaligkeit begreift. Sondern als etwas anerkennt, dessen Existenz beweist was „normalen“ Menschen in einer „normalen“ Gesellschaft unter bestimmten Umständen möglich ist. Und indem man ein waches Auge darauf hat, ob aktuelle Umstände sich jenen, die das ermöglicht haben, annähern. Damit gegen gesteuert werden kann, solange das Niveau „nur“ ein kleinkariertes ist. Denn wenn es diese Dimension erst mal überstiegen hat ist es zu spät.
Lieber sag‘ ich dann doch: „Ein Glück, dass wir verglichen haben“. Anstatt „Wie konnte das nur passieren“…
P.S.: achso, falls jemand bis hierher gelesen hat und sich denken sollte „Aber das kann man doch alles nicht miteinander gleich setzen“, der möge kurz drüber nachdenken, ob „gleich setzen“ und „vergleichen“ tatsächlich gleich gesetzt werden kann, wenn man das, was diese Begrifflichkeiten beinhalten, vergleicht
metablogger meint dazu:,
26. January, 2006
@ 12:07
Ich bleibe dabei: Diese Vergleiche verkleineren die historisch einmalige Monströsität der Naziverbrechen. Ich erinnere nur an Hans Magnus Enzensberger, der vor dem 1. Irakkrieg im Spiegel Saddam als neuen Hitler bezeichnete oder an Frau Däubler-Gmelin, die vor dem 2. Irakkrieg Bush in die Nähe des Gröfaz brachte, um die Sinnlosigkeit solcher Vergleiche zu sehen.. Politisch-argumentativ bringt das gar nichts. Letzlich ist es nur ein emotionales Dampfablassen. Moralisch sehr lobenswert, aber gefährlich. Und wer Hitler und Co als „normale“ Menschen (aus der Sekretärinnen-Perspektive) erleben will, braucht ja nur Eichingers „Untergang“ anzusehen – das ist ja nun wirklich unerträglich.
Sven meint dazu:,
26. January, 2006
@ 12:19
Die Gefahr der Verharmlosung sehe ich durchaus und erkenne sie an.
Nur: gibt es u.U. auch andere Möglichkeiten, dieser Gefahr zu entgehen, ohne gleich völlig auf den Erkenntnisgewinn durch die Betrachtung der Geschichte als etwas, das eine Entwicklung hatte vom „kleinen“ ins „monströse“ hinein (denn das Monströse ist ja „nur“ das Ergebnis, der Weg dahin ging viele ganz „normale“ Schritte von vielen ganz „normalen“ Leuten, und da meine ich auch nicht nur die einschlägigen Namen) verzichten zu müssen?
Und: wenn ein Nazi-Vergleich angestellt wird, der sich als nicht passend herausstellt (z.B. weil er reine Polemik ohne Hintergrund ist), heißt das, dass Vergleiche heut-Nazizeit allgemein „nicht gehen“ oder vielleicht „nur“, dass es Leute gibt, die das entweder nicht „können“ (weil mans ja nicht „lernen“ kann, weil mans ja „besser lässt“) oder gar zweckentfremden (Leute, die sowas machen machen das so oder so, da ist das Mittel zum (anderen) Zweck – u.U. müssten die sich sogar ein anderes „Tabuthema“ zur Provokation suchen?) ?
Wie verhindert man einen „Missbrauch“, ohne ein Tabu zu setzen, das eine Reflexion verhindert?
MMarheinecke meint dazu:,
26. January, 2006
@ 13:02
@ metablogger: Abgesehen davon, dass ich Spielfilme wie „Der Untergang“ in dieser Hinsicht für weitaus erträglicher halte, als sensationell aufgemachte „Dokumentationen“ über „Hitler Sekretärinnen“, „Hitlers Häuser“ oder „Hitlers Haustiere“ – es ist absolut richtig, Hitler als den spießige, verklemmten, egozentrischen Totalversager mit megalomanen Macht- und Vernichtungsphantasien und einer einseitigen Begabung für Demagogie und Manipulation darzustellen, der er ja wirklich war. Also als halbwegs „normales“ Arschloch. Darstellungen, die ihn und andere führende Arschlöcher des 12-jährigen Reiches sozusagen zu „Genies des Bösen“ dämonisieren, halte ich für fatal.
Hans Magnus Enzensbergers Gleichsetzung „Saddam = 2. Hitler“ halte ich wirklich für eine Verkleinerung der historisch einmaligen Monströsität des deutschne Mörderreiches – einer Gesellschaft, in der der millionenfache Mord sozusagen zum „Staatsziel“ wurde. Einen Vergleich zwischen den Herrschaftsmethoden, dem Regierungsstil, dem Personenkult usw. der beiden Diktatoren halte ich dagegen für legitim und angemessen.
Ein aktuelles Beispiel aus der Außenpolitik: die Brandreden des iranischen Staatspräsidenten Mahmoud Ahmadinejad , in der er u. A. die Vernichtung Israels verlangt. Ahmadingbums ist sicherlich ist kein Hitler, und der Iran kein Deutsches Reich anno `39. Trotzdem ist aus Gründen der Deutlichkeit ein Vergleich seiner Reden mit denen des GröFaZ völlig angebracht, schon um gegen die gängige Illusion anzugehen, er würde es ja „schon nicht so meinen“ oder man müsse auch in diesem Falle zwischen Antizionismus und Antisemitismus sorgsam unterscheiden.
logog meint dazu:,
26. January, 2006
@ 18:29
Das wer zuerst Nazi schreit – hat gewonnen ist ja schon so common sense für verschiedenste politische Couleur, daß man mit Nazivergleichen nicht mehr operieren kann. Aber genauso, wie ein historischer Typus des soldatischen Mannes in der Ausprägung eines Hitler, Himmler, Röhm, Streicher mit der Gunst und im Wunsch eines Volkes dominant werden konnte, werden diese faschistischen Potentiale heute von den Schönbohms, Schäubles und Becksteins gebunden und immer mal wiederbelebt und immunisieren sich dann feixend am du Nazi-Geheul gegen Kritik. Sind sie doch alle gute Demokraten und können’s manchmal mit einem Bundesverdienstkreuz beweisen. Wenn das jemals wieder dominant wird, wird es eine andere Ausprägung bekommen (allein durch das Fehlen einer Kollektiverfahrung wie den ersten Weltkrieg, der ja für viele Nazikämpfer ein zentraler Pol in der Charakterbildung war). Die faschistischen Potentiale sind noch aber da und sie müssen benannt und kenntlich gemacht werden. Aber Nazivergleiche sind – so nahe sie auch liegen mögen – da nicht geeignet. Schade eigentlich.
Karan meint dazu:,
26. January, 2006
@ 21:05
Die Schönbohms, Schäubles und Becksteins können nur dann feixen, wenn es bei Gleichsetzungen bleibt. Bei Vergleichen allerdings kommt es ja zu einer Gegenüberstellung der Phänomene unter Berücksichtigung der jeweiligen Kontexte; das ist, wie Sven und MM darlegten, etwas völlig anderes.
Auch wenn unterm Strich einiges (wie von Söllner geschlußfolgert) “ ja echt aufs selbe“ rauskommen kann, wenn sich so ein faschistisches Potential manifestiert, egal zu welcher Zeit…
logog meint dazu:,
26. January, 2006
@ 21:57
Dem schade eigentlich hätte ich auch ein und trotzdem mach ich’s anfügen können. Es hilft nur nicht, da diese Leute die deutsche Justiz traditionell mehrheitlich auf ihrer Seite haben. Dann können sie sich die Urteile noch neben die Verdienstkreuze heften. Jeder dieser Vergleiche demonstriert die Hilflosigkeit, daß man sie anders nicht an den Eiern zu fassen kriegt.
Felix Deutsch meint dazu:,
27. January, 2006
@ 01:17
Der mit der „durchrassten Gesellschaft“ war unser Ex-Bundeskanzler in spe, der Dr. Zwackelmann.
Sven meint dazu:,
27. January, 2006
@ 07:57
Tatsache, das war Ede himself (-> wird z.B. hier auch erwähnt) ich dacht‘ immer, ich hätte das mal im Fernsehn inner
GauleiGauweiler-Rede gehört.Hat der’s vielleicht mal irgendwann nachgeplappert, oder ich hab die im Nachhinein im Gedächtnis inzwischen verwechselt (was ja ob den gezeigten Gesinnungen leicht passieren kann *g*)
Danke für die Korrektur.
Schorschi meint dazu:,
1. February, 2006
@ 18:36
Wer sich die Freiheit der Gedanken durch ein Konstrukt, wie es die
„political Correctness“ darstellt, nehmen läßt, weiß nichts von Freiheit.
Sven meint dazu:,
1. February, 2006
@ 19:01
Ach Schorschi, wirst du jetzt mein Haustroll? Was sollen denn diese blödsinnigen Totschlagargumente mit der „PC“? Na los, da geht doch noch was. Wie wärs mit „unpatriotisch“? Oder – immer gern vor allem von Leuten, die die Intoleranz als Kern ihrer Ideologie pflegen genommen – dem „Du bist soooo intolerant“-Argument?