Freie Meinungsäußerung in Zeiten künstlerischer Unfreiheiten

Nicht zuletzt weil ein „Schorschi“ unten in den Kommentaren zur Stoiber-Rede bei der bairischen Einheitspartei CSU keinerlei Fischerei an den rechten Rändern der Gesellschaft ausmachen konnte, hier ein aktueller Artikel der Süddeutschen über Beckstein, der gezielten Instrumentalisierung eines jugendlichen Straftäters und die Veruteilung des Liedermachers Hans Söllner, weil die Liedzeilen

Früher hams Hitler ghoaßn oder Himmler
wisst’s es no, heit hoaßns Beckstein und Haider
rüher warn’s de Juden, heit de Türken
des kimmt ja echt aufs selbe raus
Ihr schürt’s den Hass von Millionen
und suachts für eure Fehler Leut
de ma verhoazn ko wia damals
und koana merkt’s, was ihr da treibts.

Herrn Beckstein beleidigt hätten.

Die Verteidigung Söllners begründete die Erwähnung des Namens Becksteins im Zusammenhang des Liedthemas darin, dass Söllner seiner Auffassung, Beckstein habe den Fall „Mehmet“ zur Wahltaktik genutzt und bewusst zur Stimmungsmache „aufgeheizt“, künstlerisch Ausdruck geben wollte, wie der Süddeutschen in ihrem Onlineartikel zu dem Thema zu entnehmen ist:

Die langwierige Verhandlung sorgten für Spekulationen in einem anderen Bereich: Im Zusammenhang mit dem Prozess waren Vorwürfe gegen Beckstein laut geworden, er habe im Fall der 1998 veranlassten Ausweisung des türkischstämmigen jugendlichen Straftäters „Mehmet“ aus rein wahltaktischen Gründen gehandelt. (Im September 1998 wurde nicht nur der Landtag, sondern auch der Bundestag neu gewählt.)

[…]

Der Münchner Anwalt Alexander Eberth hatte vor Gericht bezeugt, der CSU-Politiker habe vor der Landtagswahl 1998 die Straftaten des damals 14 Jahre alten Türken Muhlis A., der unter dem Pseudonym Mehmet bekannt wurde, ins Licht der Öffentlichkeit gerückt, um Empörung zu schüren. Eberth hatte den Jugendlichen vertreten.

Söllners Verteidiger Jürgen Arnold berief sich im Prozess auf Eberths Aussage. Arnold sagte, er könne sich vorstellen, dass Becksteins Ausländerpolitik tatsächlich den Hass auf eine Minderheit, nämlich die in Bayern lebenden Türken, schüren könnte. […]

Die Printausgabe der Süddeutschen geht noch ausführlicher auf dieses Urteil und seine Hintergründe ein. Dort amüsierte ich mich vor allem über die leicht süffisante Formulierung, dass Beckstein „von einem Pflichtbewussten Staatsanwalt in Kenntnis“ über das Lied gesetzt worden sei…

Karan, bei der ich das Thema und den Link zum Scan des Print-Artikels fand, kann ich mich da nur anschließen, wenn sie schreibt:

[…] Die Freiheit der Kunst soll also „in den Hintergrund“ treten… das, was daraufhin „im Vordergrund“ steht, läßt mich schaudern. Und bestätigt, wovor Söllner warnt.

ebenso wie ich Dukes Aufruf in ihren Kommentaren nichts hinzuzufügen habe:

Also laßt den Söllner nicht allein, sondern zeigt Rückgrat und steht auf. Der Mensch ist nicht zum Bückling geboren. Daran werden sich auch die gewöhnen müssen, die notlos zu staatlichen Machtmitteln greifen, weil sie keine Argumente haben.

7 Kommentare »

  1. metablogger meint dazu:,

    25. January, 2006
    @ 15:38

    Klar sind Beckstein und Konsorten krumme Hunde, aber Söllner und alle anderen sollten doch endlich diese wohlfeilen und sinnlosen Nazi-Vergleiche lassen. Nicht weil man Beckstein und Konsorten auf die Zehen tritt, sondern weil man Hitler und die Naziverbrechen auf diese Weise auf die Dimensionen unserer kleinkarierten Politiker herunterzoomt.

  2. Sven meint dazu:,

    25. January, 2006
    @ 16:11

    Gutes Argument. Nazivergleiche lutschen sich auch irgendwann aus. Wobei das jetzt eher eine Frage des „Musikgeschmacks“ ist, oder des „gut finden“ oder nicht eines Liedtextes, oder auch die Frage nach der Phantasie, mit welchen Bildern ich dies oder jenes, was ich zeigen will, künstlerisch ausdrücke, oder der Frage, ob es ein konkreter Nazivergleich sein muss, um auf etwas aufmerksam zu machen.

    An Becksteins Fischereiaktionen (oder auch die anderer, Kochs „wo kann ich hier gegen Ausländer Unterschreiben“-Kampagne o.ä.) änderts allerdings wenig.

    Andererseits wird ja nicht von „den Verbrechen“ auf die Kleinkarierten gezoomt, sondern eher umgekehrt: daran erinnert, dass ein Goebbels oder Hitler letztlich auch „nur“ kleinkarierte Kurzschwänzige waren, nur, dass sie an Positionen kamen, in denen es ihnen dann möglich war, das zu tun, was zu jenen Verbrechen geführt hat. Denn die waren auch erstmal „ganz normale“ Leute, wenn man die zu Supermonstern erhöht (und damit dem „normalen“ Zugriff entrückt), an die ein „Normaler“ nicht mehr heranreichen kann, dann ist es auch nicht mehr für einen „Normalen“ möglich, diese als mahnendes Beispiel zu begreifen.

  3. Felix Deutsch meint dazu:,

    25. January, 2006
    @ 23:26

    daran erinnert, dass ein Goebbels oder Hitler letztlich auch „nur“ kleinkarierte Kurzschwänzige waren

    Der Freisler (ja, der vom Volksgerichtshof) ist in den 20ern dadurch aufgefallen, dass er in Kassel eine Meute von protestierenden Dumpfbürgern gegen die Aufführung der Brecht/Weill’schen „Dreigroschenoper“ organisiert hat.

  4. Karan meint dazu:,

    26. January, 2006
    @ 08:28

    „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
    verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ (Heinrich Heine)

    Und noch „˜n Zitat:

    „Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“ (George Santanaya)

    Jedes große Unrecht beginnt (mehr oder weniger) klein, das hat Sven sehr gut gesagt. Nicht nur aus diesem Grunde halte ich den Nazi-Vergleich hier für legitim, sondern auch, weil das konsequente Weiterdenken dieses Falls – besonders im Kontext der sonstigen Becksteinschen Aktionen – ja pfeilgenau in diese Richtung führt.

  5. Karan meint dazu:,

    26. January, 2006
    @ 08:30

    P.S.:

    „und koana merkt’s, was ihr da treibts.“

    Das ist das größte Problem. Damals wie heute.

  6. sagichdoch? meint dazu:,

    26. January, 2006
    @ 11:59

    Für mehr Nazivergleiche

    Der kleine Einwurf von „metablogger“ in den Kommentaren zur Söllner-Verurteilung hat mich etwas ins Grübeln gebracht. Er bemerkte dort, dass die Gefahr bestehe, dass das Vergleichen der Naziverbrechen mit Dimensionen unserer kleinkariert…

  7. Londo meint dazu:,

    26. January, 2006
    @ 13:04

    Ich sehe gerade, was eventuell einige am Nazivergleich stört. Viele verstehen unter „Nazivergleich“ einen Vergleich zwischen Personen, nach dem Motto „X ist wie Goebbels, Y wie Hitler“. Genau das tut Hans Söllner aber nicht. Er vergleicht Handlungsweisen, nicht Personen. Und das halte ich für legitim, damit die Geschichte mit dem Dritten Reich, die – wie Karan sehr richtig oben bemerkt hat – sehr klein angefangen hat, sich nicht wiederholt.

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