Heinrich Wefing schrob für die ZEIT einen – viel zu langen – Beitrag, der die Debatte beleuchten sollte, „was das Internetz darf“ – und verhedderte sich selbst, eben auch wohl, weil er offensichtlich am Ende nicht mehr genau zu wissen scheint, was er Anfangs so schrieb und welche verschlungenen Argumentationsketten er brauchte, um am Ende dorthin zu kommen, wohin er geriet, in seinen Rückschlüssen und Ergebnissen dermaßen hanebüchen, dass ich das nicht unkommentiert lassen will.
Sein Fazit nämlich geht sowas von daneben, dass ich mir echt die Mühe machte, diesen – ich erwähnte schon: viel zu langen – Artikel durchzulesen, weil ich wissen wollte, wie es passieren kann, dass man auf einen solchen völlig unpassenden Vergleich kommen kann:
[…] Die letzten Experten, die sich lauthals auf ihre Kompetenz berufen und jede regulierende Einmischung ahnungsloser Politiker in »ihren Lebensraum« empört zurückgewiesen haben, waren die Finanzjongleure der globalisierten Kapitalmärkte. Auch sie operierten mit magischen mathematischen Formeln, auch sie verachteten die kleinkarierten Politiker und fühlten sich über das Recht erhaben. Die Folgen trägt gerade die ganze Welt.
Ich werde jetzt nicht alle Argumente und sonstigen Punkte einzeln durchgehen, die der Mann da aufzählt, es ist letztlich eine Zusammenfassung aller diversen Klischees, Stereotypen und Themen, die „das Internet“ in den Augen vor allem in konservativen Rollenmuster denkender Menschen so beängstigend macht, inklusive der ganzen Irrtümer über das Netz. Dass Wefing diese letztlich nicht wirklich reflektiert zum Besten gibt sondern nur aufzählt und damit als Tatsachen wahrnimmt und weitergibt – also den vielen ideologisch motivierten Halbwahrheiten, die von Lobbies und anderen Interessengruppen mit viel PR in die Welt geblasen wurden in den letzten Jahren schlicht fast unbesehen „glaubt“ – füllt damit mal eben 4/5 seines Artikels, und man findet dort wirklich jeden Mythos über das Internet und seine Nutzer wieder, inklusive des emotionalen Beiwerks von Empörung bis sendungsbewusster Begeisterung:
Die angebliche Anonymität ist dort ebenso vertreten wie die armen gedissten Lehrer, die Kids, die von technikfernen Eltern unkontrollierbar alles machen können, was sie wollen, die Pornos, die Bombenbauanleiter und die Terroristen, die armen, von Millionen Raubkopierern gefledderten Musiker, Autoren und sonstigen Künstler, deren Rechte von Netzusern mit Füßen getreten würde, weil die „Industrien“, die sich die exklusive Monetarisierung der Produktkopien dieser Leute sicherte, für manche Kopie, die sie nicht selber erstellte, kein Geld bekommt, die Holocaustleugner und Nazis, das einfache Volk, das niveaulos daherpöbelt und rüde beleidigend durch die Gegend marodiert, der Generationenkonflikt, der Kultur-Clash zwischen analog und digital, die „echte Welt“ und die von dieser gelösten „virtuelle“, usw. usf., da wurde tatsächlich nichts ausgelassen. Entsprechend widersprüchlich natürlich gerät die gesamte Argumentation, da viele dieser Klischees sich völlig widersprechen oder gar gegenseitig ausschließen müssten. Hatte ich erwähnt, dass der Artikel zu lang ist? Das ist der Grund.
Und dieser Grund wiederum – bzw. die Unübersichtlichkeit, die daraus erwächst – scheint mir die Ursache dafür zu sein, dass es Wefing am Ende argumentativ völlig aus der Kurve trägt. Ein paar gute Gedankenansätze sind nämlich dabei, genug gar, um auch auf ein gänzlich gegenteiliges Fazit kommen zu können, als das, das Wefing da am Ende abliefert. Genau genommen lese ich aus diesem Fazit heraus, dass der ganze lange Klumpatsch vornweg nicht zu diesem Ergebnis führte sondern ein wilder Gedankenwust ist, der der schon fertigen und bestehenden Meinung, die sich in diesem Fazit spiegelt, nachträglich vorweggestellt wurde, um diese Meinung irgendwie zu begründen. Heißt, das Fazit ist kein Fazit, da es nicht über einen dialektischen Gedankengang entstand, sondern der vorgebliche vorangehende Diskurs ist ein Rechtfertigungsversuch für diffuse Ängste und Gefühlsgemenge über eine – in meinen Augen viel zu lang geratene – Pseudo-Sachlichkeit, die durch die schiere Menge vorgeblicher sachlicher „Fakten“ die eigentliche Natur der Argumentation verschleiern will: Angst und andere Befindlichkeiten wie Gefühle der Unsicherheit, Unverständnis, „nicht mehr mitkommens“, o.ä..
[…] Die letzten Experten, die sich lauthals auf ihre Kompetenz berufen und jede regulierende Einmischung ahnungsloser Politiker in »ihren Lebensraum« empört zurückgewiesen haben, waren die Finanzjongleure der globalisierten Kapitalmärkte. Auch sie operierten mit magischen mathematischen Formeln, auch sie verachteten die kleinkarierten Politiker und fühlten sich über das Recht erhaben. Die Folgen trägt gerade die ganze Welt.
Ist jedenfalls aus verschiedensten Gründen (und witzigerweise hat Wefing selbst alle in seinem Artikel selbst aufgezählt) völliger Humbug:
- Der Finanzmarkt lief aus dem Ruder weil bestehende Regulierung aufgehoben wurde, nicht etwa, weil zusätzliche verhindert worden wäre. Niemand aber ruft nach Aufhebung bestehenden Rechts im Netz. Es geht darum, dass das Netz eben nicht mehr Regelung braucht als die „Offline-Welt“ – und Welfing sagt es ja selbst: da es rechtlich keinen Unterschied gibt zwischen diesen Welten. Warum also sollte man durch spezielle weitergehende Regelungen dann einen herstellen? Die Internet-„Gemeinde“ will keine Deregulierung, wie es die Banker wollten und kriegten. Sie will keine stärkere Extra-für-sie-Regulierung die über die, die es schon gibt, hinausgeht und die eh für alle – und damit auch für sie – gilt.
- Die „Folgen für die ganze Welt“ sind nicht entstanden, weil irgendwelche Leute sich über das Recht „erhaben“ fühlten, sondern weil diesen Leuten rechtliche Grenzen, die ihr Tun und damit auch die Folgen dieses Tuns verhindert hätten, entfernt wurden. Die Banker haben sich nicht über Recht und Gesetz hinweggesetzt und können deshalb auch nicht für den Schaden, den sie anrichteten belangt werden. Dort aber, wo das Recht Grenzen setzt kann belangt werden. Und zwar mit den rechtlichen Mitteln, die da sind. Weitere, neue, braucht es dafür nicht. Im Gegensatz zur Finanzwelt gelten genug und eindeutige Gesetze für all die Dinge, die da im Internet tatsächlich wie angeblich passieren, um irgendwelche „Folgen“, die die „ganze Welt“ tragen müsste, zu verhindern. Oder zumindest zu ahnden. Auch letzteres im Gegensatz zur Finanzwelt.
- Dass die „Finanzjongleure“ die Politiker „verachtet“ hätten und diese sozusagen dazu gebracht hätten, ihnen Freiheiten einzuräumen, deren Folgen nun „von der Welt“ zu tragen seien ist freilich einerseits ein Widerspruch zur den Verhältnissen der Netzwelt an und für sich, da die Einflussnahme initial von der gegenteiligen Seite aus ausgeht – geschenkt. Aber freilich ist dieses Bild allein schon Geschichtsklitterung, denn die Politik hat der Finanzwelt diese Freiheiten nicht gegeben, weil sie nicht wusste, was sie tat, sondern weil auch sie es so wollte. Da gab es keinen Interessenkonflikt, den eine Seite gewonnen oder gegen eine andere durchgesetzt hätte – da gab es nämlich keine zwei Seiten. Auch wenn die Politik heute versucht, hier ein anderes Bild zu malen.
Aber am Ende ist es bei Leuten wie Wefing vielleicht auch zum Teil nur die Angst des Intellektuellen vor dem Mainstream, der niveaulosen Masse, der Plebeisierung und damit Profanisierung eines Raumes, den man lange der geistigen Aristokratie des Intellktuellen vorbehalten sehen konnte?