Foto im Raum

Der Herr Redunzl hat ein Stöckchen geworfen, das ich zur Abwechslung sehr gerne annehme, weil es weit weg von den üblichen platten „Fußpilz oder Nagelbettentzündung“ – Allerweltsfragen ist sondern richtig interessant werden kann (was die bisherigen Beiträge dazu auch belegen). (Nachtrag: das Stöckchen kommt wohl ursprünglich von hier)

Es fragt nach einem „Foto im Raum“ und der „Geschichte“ dazu, wobei ich „Raum“ mal eben auch frei mit „Zeit“ interpretiere und deshalb ein Foto gewählt habe, das wohl einen der größten Einflüsse zeigt, die ich in meinem Leben so mitbekam. Es ist ein Foto der Band „Sound Express“, in der mein Vater Schlagzeug spielte. Das Bild muss so irgendwann Anfang bis spätestens Mitte der 70-er Jahre aufgenommen worden sein, ich glaube nicht, dass es von später als 1975 sein kann.

Sound Express

Auf dem Foto ist mein Vater wohl etwa zehn Jahre jünger als ich es heute bin, und auch das ist ein ganz seltsames Gefühl, da Väter ja gefühlt freilich niemals jünger als man selbst sind, das geht ja garnicht, entsprechend seltsam ist es, wenn ich versuche, mir das Foto „nur“ als ein Foto von rund 30-jährigen Musikern anzusehen, denn in dieser Rolle sehe (und fühle) ich etwas so völlig anderes als wenn ich mir das Bild im Bewusstsein, „ein Foto mit meinem Vater drauf, von früher“ anschaue – das ist ein richtig seltsames Phänomen, leicht verwirrend, aber auch faszinierend: denn ich merke, dass nicht die Rolle des Betrachteten wechselt sondern meine: einmal schaut ein 40-jähriger Schlagzeuger hin, das andere mal ein 7-jähriger kleiner Junge. Und obwohl der Gegenstand sich nicht verändert unterscheiden sich die beiden Wahrnehmungen in einer fast atemberaubenden Art und Weise.

Aber ich wollte ja eigentlich was zu diesem Bild und dem Einfluss, für das es steht erzählen.

Ich habe als Kind verhältnismäßig wenig von dieser Seite meines Vaters mitbekommen. Jedenfalls, wenn ich mir bewusst mache, wie oft er zum „Musik machen“ weg war, egal ob Probe oder Gig. Und wenn ich mir bewusst mache, welchen Stellenwert das für ihn gehabt haben muss, gerade in der Zeit, in der dieses Foto entstand, denn den Erfolg, den er mit dieser Formation hatte muss man wohl als einen Höhepunkt seiner Musiker“karriere“ anerkennen, zumindest danach, auch durch Umzüge in andere Gegenden und beruflich andere Einbindungen, war seine Musik zwar immer noch da, aber doch eindeutig „nur Hobby“.

Hobby war’s vorher auch, natürlich, aber auch, wenn „Profimusiker“ vielleicht nie – zumindest nie so, dass ich’s mitbekommen hätte – Ambition war, war „Sound Express“ doch schon weit über „Hobby“ hinausgehend, in der Gegend Schweinfurt bis weit in die Rhön hinein gab es wohl niemanden, der die nicht kannte und wenn man am Ende mit damaligen Show- und Schlagergrößen auf derselben Bühne steht ist das spätestens nicht mehr irgendeine Garagenband, die mal aus Spaß hier und da ein bissl Lärm macht.

Gerade wegen dieser Intensität wundert es mich im Nachhinein, dass es nicht wirklich viele Gelegenheiten gab, diese Seite meines Vaters wahrzunehmen. Gut, es ist wohl erst ab einem gewissen Alter überhaupt „sinnvoll“, ein Blag mal mit zu einem Auftritt mitzunehmen, aber es ist wirklich so: ich glaube nicht, dass ich so viel völlig vergessen haben kann, deshalb denke ich, damals war ich wirklich vielleicht grade mal 4-6 mal „zu Besuch“ im Proberaum, höchstens 3-4 mal vor einem Gig quasi „backstage“ bzw. beim Aufbau dabei und wirklich live spielen gesehen habe ich „Sound Express“ auch nicht öfters. Also in der Zeit zwischen irgendwo 1972 bis 1977. Dass diese wenigen Gelegenheiten dennoch auch prägend gewesen sein müssen beweist mir allerdings z.B., dass ich zu einem völlig verschwommenen Proberaum-Bild im Kopf einen kompletten Geruch in der Nase habe, Holz, Stoff, Plastik, Elektrik, ein sehr typischer Geruch, an den ich mich deutlicher erinnere als an etwas optisches und den ich, wenn ich sowas ähnliches heute rieche, sofort wieder mit diesem Raum assoziiere und nicht etwa mit einem „meiner“ Proberäume, obwohl die naturgemäß nicht viel anders rochen.

Vielleicht ist es auch so überhaupt kein Problem für mich, diesen „Rollentausch“ beim Betrachten von Bandfotos aus dieser Zeit zu vollziehen, weil ich „live“ solche Bilder ja kaum in der Erinnerung habe, auch mangels Masse, entsprechend einfach ist es, den Standpunkt zu ändern: ich fühle mich besser und näher in die Situation hinein, die das Foto zeigt, nämlich, auf einer Bühne sein und dort Musik zu machen, als in die des konkreten (kindlichen) Zuschauers speziell dieser abgebildeten Gruppe – und da die Rolle „Vater“ so wenig mit der Rolle „Musiker“ verknüpft wurde fällt erstere Rolle bei der Betrachtung auch eher dünn aus:

Witzig: die gefühlte Nähe zu diesem Schlagzeuger auf dem Foto resultiert weit mehr daraus, dass ich selber Schlagzeug spiele und mich in die Situation dort hineinfühlen kann als darin, dass das da mein Vater ist, der hinter diesem Schlagzeug sitzt. Ich denke, das ist wohl das, was dieses Foto für mich so faszinierend macht: ich fühle mich der Person dort näher, weil ich sie als Person sehen kann, quasi auf gleicher Augenhöhe, als Mensch. Die Rolle „Vater“, die so Mensch mit definierter Rolle auf „normalen“ Familienfotos naturgemäß so stark einnimmt, dass es schwierig ist, etwas anderes als diese Rolle zu „spüren“, ist auf diesem Foto so weit weg, dass sie kaum die Wahrnehmung beeinflusst. Es ist fast ein Paradox: auf diesem Foto fühle ich eine ganz andere, ungewohnte, aber wahnsinnig faszinierende Form von Nähe zu meinem Vater wie kaum sonst, gerade weil ich dort nicht „den Vater“ sehe bzw. dieser Aspekt weitgehend ausgeblendet ist.

Ich schweife schon wieder. Aber ich glaube, das ist auch ein bissl Sinn dieses Stöckchens, darum erlaube ich mir das mal.

Dass diese „Identität“ meines Vaters – Schlagzeuger, Musiker – wohl auch, weil ich da ein bisschen außen vor blieb, doch einen viel größeren Einfluss auf mich hatte als ich lange Zeit glaubte, habe ich noch nicht lange begriffen, das ist mir erst seit ein paar Jahren so richtig klar geworden.

Als ich anfing, Schlagzeug zu spielen, so mit 15-16 rum muss das gewesen sein, ich kann das garnicht mehr genau sagen, weil es sich irgendwie „ergab“ und einschlich, ich erinnere mich nicht an einen bewussten Moment der Entscheidung, sah ich mich musikalisch an einem völlig anderen Platz, es war quasi „Zufall“, dass ich auch, wie mein Vater, Schlagzeug spielte, denn das, was ich spielte war natürlich etwas völlig anderes als das, was mein Vater mit seinem Schlagzeug machte: Ich spielte fast ausschließlich eigene Songs, ich wollte nicht „nachspielen“, ich hatte im Kopf eine strikte Trennung zwischen „Musiker, die eigene Musik machten“ und „Instrumentenspieler, die Musik nachspielten“. Natürlich sah ich mich der ersteren Fraktion zugehörig und empfand nicht allzuviel Achtung für die zweitere.

Entsprechend habe ich auch nie Schlagzeug „gelernt“ im handwerklichen Sinne, ich hatte nie Unterricht und ich habe nie gelernt wie man namentlich benannte Sachen spielt, wie „Swing“, „Shuffle“, „Reggea“, „Backbeat“, „Walzer“, usw. usf., diese Begriffe waren was für Begleitautomaten, das hatte doch nichts mit musikalischem Drumming zu tun.

Blödsinn, freilich, und natürlich habe ich all diese Sachen auch gespielt, ohne zu wissen, dass sie so oder so heißen. Und ich konnte sie spielen, ohne zu wissen wie sie heißen, weil ich sie fühlen konnte. Warum? Weil ich mit diesen Sachen aufgewachsen bin, weil ich quasi eine Rhythmus-Prägung bekommen habe von Babyalter an, der ich mich nicht entziehen kann und konnte und die ich nicht abschalten kann. Es waren nicht die konkreten Gigs, die mein Vater spielte oder das ständige Üben im Proberaum, denn diese Sachen fanden weitgehend ohne mich statt.

Es war das Zusammensein mit einem Schlagzeuger, und zwar mit einem verdammt guten: einem, der seit Jahren auf Bühnen stand. Der eine Bandbreite vom schmalzigsten Pop-Schlager bis zum vertracktesten Rock spielte, weil nunmal alles zwischen Gitte und The Who in den Charts vertreten war und von einer Coverband dann auch freilich abgedeckt zu werden hatte. Einer, der seine Finger nicht still halten konnte und vor sich hin trommelte wo immer er konnte, ob im Auto auf dem Lenkrad, auf dem Esstisch, egal wo und mir damit die Grundrhythmen von klein auf und über Jahre so intensiv einprägte, dass ich, wenn ich drüber nachdenke, nicht einen Moment in meinem Leben wüsste, in dem ich nicht irgendeinen Rhythmus im Kopf laufen hätte. Ich weiß quasi immer, wo „die eins“ ist, mir dreht es den Magen um, wenn Dinge nicht „in time“ kommen, ich spüre, ob ein „Einsatz“ (egal ob wirklich musikalisch oder irgendwas anderes, und wenn es das Zuschlagen einer Autotür ist) „passt“ oder zum Grundbeat verschoben ist, ohne das Zählen zu müssen, das ist bei mir so in Fleisch und Blut, so tief einprogrammiert, dass mir das bis vor kurzem nicht einmal auffiel, weil es einfach so „normal“ und selbstverständlich ist – ich muss ja auch nicht dran denken, ein- und auszuatmen, ja, damit ist das wohl vergleichbar.

Es war das Aufwachsen mit einem Musiker, der sich für Musik interessierte. Und zwar für jede, nicht nur für eine Sparte, einen Trend oder eine Stilrichtung. Hitparade, Ilja Richters „Disco“, Beat-Club, Musikladen und all diese Musiksendungen waren Pflichtprogramm, egal, welche Folge in den letzten Jahren in irgendeinem öffentlich-rechtlichen Spartenkanal jemals wiederholt wurde, ich weiß, ich habe das „Original“ gesehen, es ist stets ein Déjà-vu. Dieser Musiker lehrte mich, Songs „zu hören“, ihre Gemeinsamkeiten, ihre Unterschiede, ihre Einzelelemente und was aus diesen ein Ergebnis macht, das mehr als nur Summe seiner Teile ist.

Er lehrte mich „Interdisziplinarität“, weil alles seine Berechtigung hatte und seine interessanten Punkte, egal ob seichtester Pop oder harter Rock, ob Oldies oder aktuellste moderne Trends, er ging das ohne jegliches Vorurteil an. Ich habe das vielleicht damals nicht verstanden, später sogar abgelehnt, aber was man bewusst so denkt und was man tut, weil man entsprechend geprägt ist ist (hier zur Abwechslung mal zum Glück) ja bekanntlich etwas völlig anderes.

Und so hat mir dieser Schlagzeuger, den ich – natürlich nur aus musikalischer Sicht! – in jugendlicher Arroganz so wenig zu schätzen wusste, alles über Musik beigebracht, was ich heute weiß und umsetze:

Dass ein Schlagzeug einen Song spielt und nicht nur einen Begleitrhythmus beisteuert.

Dass man einen Song nur spielen kann, wenn man über eine Bandbreite verfügt, die in alle Richtungen offen bleibt.

Dass Groove ist, was dem Publikum den Puls verändert.

Dass Stile dazu da sind, Horizonte zu erweitern und nicht Grenzen zu setzen, und damit für genau das, den Groove, genutzt zu werden, und wenn dazu ein Stilmix oder ein völliger Crossover nötig ist, um eine Komposition zu einem richtigen Song zu machen, am Ende zählt der Song und dass er etwas mit dem Zuhörer macht.

Und deshalb schaue ich mir immer wieder gern speziell auch dieses Foto meines Vaters an.

So, und weil das ein schönes Stöckchen ist, um das es schade wäre, wenn es einfach vertrocknen würde, weil es niemand aufhebt, gebe ich es diesmal entgegen meiner üblichen Gewohnheit weiter. Und zwar an Karan, Omar, Serotonic, meinem Namensvetter von der Melodie-Fraktion, und den Herrn Punk. Und freilich an jeden anderen auch, der die Idee toll findet und ein Foto hat, über das er ein bisschen erzählen kann und will.

5 Gedanken zu „Foto im Raum

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert