Diesen Artikel habe ich eigentlich für das Fotoblog Fotoschraubr geschrieben, aber da ich finde, dass dieses Thema nicht nur Fotos und Foto-Communities oder -Blogs betrifft sondern alle Bereiche des Lebens, in denen „kritisiert“ wird, poste ich ihn, nur leicht angepasst, auch noch einmal hier in meinem Blog, einfach, weil unser Fotoblog noch nicht die Reichweite hat, die ich mir für dieses Thema wünsche.
Hier bei mir im Blog geht es mir um eher Grundsätzliches, denn ich bin der Meinung, dass wir alle, die wir mit einer sehr „typisch deutschen“ Kritik- und damit zusammenhängenden Fehlerkultur aufwuchsen und von ihr geprägt wurden, Potentiale verschenken. Nein, verschenken ist zu schwach: wir trampeln auf ihnen herum und zerstören sie, ohne es zu bemerken.
Ich will heute nämlich mal ein Reizthema ansprechen: Die Sache mit der Kritik. Sowohl öffentliche Kritik, die Menschen unter Bilder, Texte, Musik oder welche Veröffentlichung anderer Menschen auch immer schreiben, als auch die in „persönlicherem“ Rahmen, von Schule, Studium, Beruf bis hin zu Freundeskreisen und Familie.
Es gibt da ja grob zwei Fraktionen, natürlich mit Schnittmengen und fließenden Übergängen, aber vereinfacht ausgedrückt sagen die einen „Wenn mir etwas negativ auffällt, dann sag ich das der/demjenigen, damit in Zukunft diese Fehler vermieden werden“ und die anderen „Ich nörgle nicht ungefragt an Leuten herum, speziell nicht an Leuten, die ich gar nicht wirklich kenne, weil ich niemanden demotivieren möchte“.
Entsprechend dazu gibt es diese jeweiligen Vorlieben auch bei denen, die kritisiert werden selbst, also die, die rein positive Kommentare unter z.B. Fotos, von denen sie selbst wissen, dass sie Mängel haben, als „Schleimerei“ empfinden und das nicht als „richtige Kritik“ empfinden, und solche, die sich von negativen Kommentaren verunsichern lassen, sie als übergriffig empfinden und denen sowas deshalb auch nicht wirklich hilft.
Nun, gerade im deutschen „Kulturraum“ wird hinter dem Wort „Kritik“ tatsächlich eher die „Benennung von Mängeln“ verstanden. Das bewerte ich nicht, das ist einfach eine Feststellung. Wenn ich im deutschen Sprachraum um Kritik bitte kann ich zu 99,9%er Sicherheit davon ausgehen, dass mein Gegenüber ein ernstes Gesicht macht, mit der Stirne runzelt, „Hmmmm…“ sagt, und nach scharfem Blick und kurzer Überlegung tatsächlich beginnt, eine Mängelliste aufzuzählen.
Und zwar egal, wie gut das zu kritisierende Objekt neben diesen Mängeln ist. Und ich kann mir auch ziemlich sicher sein, dass das mein Gegenüber auch wirklich etwas findet, denn die Aufforderung war ja die, zu kritisieren, und da sucht man eben auch wirklich so lange, bis man etwas gefunden hat.
In anderen Kulturräumen ist das anders, ich kenne zum Beispiel den angelsächsischen recht gut. Dort ist die Chance sehr hoch, dass unter der Aufforderung zu „Criticism“ zunächst einmal sogenannter „supportive criticism“, also „unterstützende/aufbauende Kritik“ verstanden wird. Und selbst, wenn sich ein angelsächsischer Gegenüber bemüßigt fühlt, direkt nach der Frage „Und? Was meinst du dazu?“ auch einen Mangel zu benennen, wird er mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst eine Aufzählung dessen, was ihm gefällt und was er „großartig“ findet vorwegschicken, bevor er einen Mangel benennt, den er aber selbst tendenziell nochmal dadurch relativiert, indem er ihn in ein „overall positive“ Feedback verpackt.
Auf Menschen, die im deutschen Kulturraum geprägt wurden und mit der dortigen Form der „Kritik“ aufgewachsen sind und diese deshalb mehr oder weniger als „normal“ empfinden und gewohnt sind, macht diese angelsächsiche Form der Kritik oft einen oberflächlichen Eindruck, ich hörte, wenn ich selbst diese (von mir inzwischen sehr geschätzte) Form der Kritik ausübe, oft regelrecht enttäuschte Reaktionen im Sinne von „Aber das ist doch nicht nur alles toll an dem Ding, gibts denn nichts zu bemängeln?“.
Wenn das von der Person kommt, zu deren Arbeit ich da was gesagt habe, ist das dann OK, dann sehe ich das als Aufforderung, ebenjene Mängel ebenfalls zu benennen.
Aber oft kommt eine solche Reaktion auch von „Zuschauern“, also Menschen, die gar nicht betroffen sind. Das finde ich dann immer recht interessant, zeigt es doch, wie tief diese „Mängel-Kritik“ hierzulande als „normal“ empfunden wird und eine Abweichung von dieser Norm dann folgerichtig als „das ist doch keine richtige Kritik“ wahrgenommen und empfunden wird, bis hin zu solchen Urteilen wie „Schleimerei“ oder dass man „unehrlich“ sei, als ob die Betonung dessen, was einem gefällt, ohne gleichzeitig dazu zu sagen, was einem nicht gefällt, „gelogen“ sei, also das, was mir da „angeblich“ gefällt, dadurch nicht die „Wahrheit“ sei, weil ich eben nur das Kund tue. Ich finde so eine Sichtweise inzwischen zunehmend irritierend, die quasi nur den Mangel als „Ehrlichkeit“ anerkennt.
Speziell, wenn ich den Menschen nicht wirklich kenne, weil es einfach irgendwer auf einer Community-Platform im Internet ist, oder nur flüchtig, habe ich ja keine Ahnung, wie dieser Mensch mit negativem Feedback umgeht, ob ich ihn demotiviere oder ich ihm sonstwie zu nahe trete. Wenn ich jemanden persönlich kenne, gar befreundet bin, dann mag das ein bisschen anders sein, weil ich diese Person besser einschätzen kann oder konkret schon weiß, welche Form von Kritik sie bevorzugt, aber selbst solchen gegenüber würde ich nie ungefragt(!) irgendwelche Negativkritik rüberwerfen an Dingen, die dieser Mensch da einfach für sich und weil er Spaß dran hat tut.
Ich habe diese angelsächsische Form (ich nenne das mal so, vereinfachend) der Kritik bewusst kennengelernt in einer weltweit besetzten Community von Musikern, die sich jeden Februar online „treffen“, um in diesem Monat Lieder zu schreiben.
Die Veranstaltung heißt „FAWM“ – „February Album Writing Month“, und dort finden sich jedes Jahr aberhunderte Menschen aus aller Welt ein, von absoluten „Profis“ bis zu blutigen Laien, die sich gegenseitig ihre Werke vorspielen. Das Ziel ist, 14 Songs in 28 Tagen zu schreiben und idealerweise auch Aufnahmen davon bereit zu stellen. Gerade die Nicht-Profis würden, wenn dort die „deutsche“ Kritikkultur herschte, dort völlig demotiviert werden, so aber, indem man ihnen sagt, an welchen Punkten ihrer Songs, sei es Texte, sei es ein Instrument, oder das Arrangement, oder auch die Aufnahme, ihre Songs „gut“ sind, motiviert sie das ungemein, den nächsten Song „besser“ hinzubekommen, und meist schaffen sie das auch, eben weil die von Leuten auf ihre Stärken hingewiesen wurden.
Es ist nämlich meiner Erfahrung nach so: Menschen, die ambitioniert sind, etwas „Gutes“ zu bewerkstelligen, sind im Normalfall überkritisch (im „Mängel“-Sinne) sich selbst gegenüber. Sie wissen meist ganz genau, wo es hakt, was ihnen nicht gefällt an ihren Ergebnissen, und das verunsichert sie sowieso schon genug.
Ich muss keinem Menschen, der Musik aufnimmt und im Takt wackelt, sagen „Hey, du stolperst aber ganz schön heftig!“ – das weiß diese Person normalerweise selbst. Ich muss auch nicht unter ein Foto, in dem der Himmel überbelichtet ist und „ausblutet“, schreiben „Boah, dein Himmel da ist ja eine einzige weiße Fläche, die noch dazu in die Landschaft am Horizont reinstrahlt und das Bild völlig kaputt macht“ – jemand, die/der mit etwas Ambition fotografiert, weiß das und dürfte schon selbst zur Genüge grob unglücklich über diesen Mangel sein. Oder darüber, dass einem Bild irgendwie Dynamik und Stabilität gleichermaßen fehlt, weil der Horizont zu hoch oder zu tief hängt.
Im besten Falle sagt man das einem selbstbewussten Menschen, der ja dennoch einen Grund hatte, das Bild zu zeigen, eben weil irgendwas daran doch so „gut“ ist, dass er auf den Mangel, den es auch zeigt, einfach mal pfeift. Und damit auch darauf, dass irgendein Captain Obvious glaubt, ihn darauf hinweisen zu müssen.
Im schlechtesten Falle tut man das einem Menschen an, der es noch nicht besser hinbekommen hat, und den man mit dieser Fokussierung darauf, warum das Bild „schlecht“ sei, verunsichert und dazu bringt, im Zweifel nichts mehr zu veröffentlichen oder gar zu glauben, man sei einfach zu schlecht, mit dem Ergebnis, dass da jemand etwas sein lässt, wo sie/ereigentlich Potential gehabt hätte, weil sie/er z.B. ein herausragendes Talent für Timing oder Perspektiven hat. Das dann nicht mehr genutzt geschweige denn ausgebaut würde.
Von unsicheren Menschen kann ich erst mal nicht erwarten, „Herausragendes“ geliefert zu bekommen. Denn herausragend kann man nur auf Gebieten werden, die einem „liegen“, wo das Talent den Durchschnitt übersteigt. Wenn ich ihnen aber die Teilbereiche, auf denen sie schon „gut“ sind, nicht sage, sondern im Gegenteil, ihnen (nur) vermittle, wo sie unterdurchschnittlich sind, dann sagt das Feedback: „Du bist unterdurchschnittlich, und zwar durchweg“. Denn die Unsicherheit verschiebt diesen Menschen den Blick ja sowieso schon, und ein solches Feedback bestätigt diesen verschobenen Blick. Wie gesagt, im schlimmsten Falle bedeutet das: die Person gibt auf.
Menschen, die sich zunächst darauf konzentrieren, ihre Mängel zu bearbeiten, die meist wo ganz anders liegen als ihr Talent, und dabei die Bereiche, auf denen ihre Talente zu finden sind, erst einmal liegen lassen, fällt es schwer, ein überdurchschnittliches Ergebnis zu erreichen, denn dort, wo sie sich anstrengen müssen liegt der Bereich, an dem sie mit viel Fleiß und Arbeit eben jene Durchschnitts-„Güte“ erreichen können – Aber eben auch nicht wirklich mehr. „Mit viel Fleiß und Arbeit“ bedeutet darüber hinaus: mit Anstrengung. Was wenig Spaß macht, also auch nicht wirklich der Motivation beiträgt. Das beste Ergebnis, das man erreichen kann, ist der Durchschnitt? Nein, das macht keinen Spaß. Das ist doch kein Ziel, das einen antreibt, „durchchnittlich gut“ zu werden!
Wenn sie sich aber stattdessen auf ihre Talent-Bereiche konzentrieren, dann können sie diese schnell über den Durchschnitt heben, und der Rest zieht dann automatisch mit, denn mit dem Spaß und der Motivation kommt auch Routine über den Rest einer Aufgabe ins Spiel, so dass sich die Mängel-Seite von ganz alleine verbessert, aber die Talentseite gleichzeitig überragend werden kann.
Das Problem ist für die meisten, ihre Talentseite überhaupt zu erkennen, sie sich bewusst zu machen. Denn was heißt denn Talent? Dass einem etwas leicht von der Hand geht, oft ohne genau zu wissen warum und ohne sich darüber bewusst zu sein, was man da eigentlich tut. Gerade weil es sich da um die Bereiche handelt, die man wie selbstverständlich aus dem Ärmel schüttelt ist einem oft nicht bewusst, dass das keine Selbstverständlichkeit ist. „Ach, das ist doch nichts“ ist da oft die Antwort und spiegelt eine Einschätzung der eigenen Leistung, die der Qualität dessen, was die Person da abliefert, überhaupt nicht entspricht.
„Das kann doch jeder, das ist doch nicht schwer, das ist doch selbstverständlich“ – nein, ist es eben nicht. Das ist, was man den Menschen sagen muss. Dass das, worauf sie am wenigsten achten, weil es ihnen am leichtesten fällt, genau das ist, was sie bzw. ihre Arbeiten außergewöhnlich macht oder machen kann. Positives „supportive“ Feedback hilft der so „kritisierten“ Person, sich besser einschätzen zu können. Und das, was sie derzeit noch mehr oder weniger unbewusst „gut“ macht, zu kultivieren, ins Bewusstsein zu holen, auszubauen, um zu wissen, was man da eigentlich tut und das dann mit überraschend wenig Mühe auf Qualitätsstufen zu heben, die ein Werk in diesen Bereichen „überragend“ machen.
Der Ehrgeiz und damit auch die Motivation, das Drumherum dann auch noch zu perfektionieren, kommt dann von ganz alleine. Und die Fähigkeit, das auch zu schaffen, ebenfalls. Die Überdurchschnittlichkeit auf dem Gebiet der Stärken zieht alles andere automatisch mit, denn wenn man Spaß hat an dem was man tut und „zufrieden“ mit dem, was man schafft, dann tut man mehr. Und wer mehr tut wird routinierter. Und wer Routine aufbaut, der/dem fallen Dinge leichter – auch die, auf sie/er sich gar nicht so bewusst konzentriert. Oder vielleicht sogar: gerade deshalb, weil die Hauptkonzentration wo anders liegt.
Erst dann, wenn ein Mensch dermaßen „aufgebaut“ ist, kommt das Feintuning, und das kommt dann auch von ganz alleine. Also die Fragen z.B., wie man diesen oder jenen kleinen Mangel noch beheben könnte, um etwas durchweg hammermäßig hinzubekommen. Eine selbstbewusste Person, die motiviert ist und ambitioniert, herausragende Dinge zu schaffen, hat kein Problem mehr damit, sich auch über die Mängel eines Werkes zu unterhalten. Im Gegenteil, sie spricht das dann selber an. Eben weil sie weiß, dass sie eigentlich ein tolles Ergebnis hat – oder haben könnte, wenn in diesem oder jenem Detail noch etwas perfektioniert werden würde.
Entsprechend wird eine solche Person von ganz alleine Fragen stellen, die Mängel ansprechen und benennen. Um Antworten zu bekommen, die ihr helfen, diese Mängel auch noch zu beheben. Weil sie es selbst will, weil sie selbst ein rundum „perfektes“ Ergebnis haben möchte, einen perfekten Rahmen für das, was ihr Spaß macht, und das ebendas, ihr Talent und ihre Stärken, heraushebt und zur Geltung bringt.
Das ist eine völlig anderere Herangehensweise als erstmal den Rahmen aufzubauen und dann erst die Elemente auszubauen, die ein Ergebnis strahlen lässt. Das nämlich tut niemand. Da macht man irgendwann lieber einfach was anderes. Was was Spaß macht.
Und so ist dann auch meine weitere Erfahrung: irgendwann kommt jede Person, die etwas dadurch besser machen will, weil etwas zwar irgendwo ein richtig tolles Element beinhaltet, aber drum herum noch kleinere oder größere Mängel bestehen, das das Tolle daran trübt, von selbst an und will wissen, was man besser machen kann. Es kann durchaus vorkommen, dass diese Person dann eine Frage stellt, wie „Ich bin grundsätzlich ja super zufrieden mit dem Ergebnis, aber irgendwas stimmt nicht ganz daran, aus irgendeinem Grund fühlt es sich nicht so perfekt an, wie es sein könnte – sieht irgendwer, woran das liegen könnte?“ – Dann, und nur dann ist eine Mängelliste angebracht. Am besten gleich mit Tipps versehen, wie man sie beheben kann.
Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass so eine Person die Mängel sowieso selber anspricht. „Verdammt, das wäre so ein tolles Landschaftsbild, aber ich bekomme die Belichtung nicht in den Griff, so das mir ständig der Himmel zu weiß wird – was mach‘ ich da falsch, kann mir jemand einen Tipp geben?“
Wie gesagt: wenn jemand ambitioniert ist, z.B. „gute Fotos“ zu machen, dann weiß die/derjenige eben meist selbst gut genug, welche Mängel ein Bild hat. Man darf drauf warten, bis die/derjenige das selbst anspricht. Denn das wird sie/er.
Und zu guter Letzt noch: Leuten, die überhaupt nicht die Ambition haben, „tolle Fotos“ zu machen, sondern denen es genügt, z.B. auf einer Reise einfach quasi dokumentarisch zu knipsen, hauptsache, das, was man da sieht, ist irgendwie festgehalten, braucht man ebenfalls nicht mit Mängeln daher kommen. Denn die interessieren die betreffende Person nicht, im Gegenteil, man kann davon ausgehen, als blöder Besserwisser dazustehen, und das sogar zu recht.
Aber wenn man so jemanden trifft und man in seinen Knipsereien etwas entdeckt, das heraussticht, z.B. dass die/derjenige offensichtlich ein Auge für Bildausschnitte hat, oder für Situationen, oder Farben – dann ist es wiederum das positive, das „supportive“ Feedback, das es vielleicht schaffen kann, da Ambitionen zu wecken. Und damit ein Talent auszugraben, von dem die/derjenige gar keine Ahnung hatte, dass es da ist. Und dass sie/er Spaß dran haben könnte, etwas damit anzufangen und es auszubauen.
Also, beim nächsten Mal, wenn ihr jemanden kritisiert: fragt euch doch mal, wie ihr das eigentlich so macht, mit der „Kritik“. Wie ihr selbst das gerne hättet und wie ihr selber gelernt habt, zu kritisieren. Und fragt euch speziell, wenn ihr mal wieder glaubt, irgendwen auf einen Mangel hinweisen zu müssen, ob das wirklich das ist, was diese Person benötigt, um bessere Ergebnisse zu erzielen….
Chapeau! Ich wünsche mir, daß das ganz viele Menschen lesen, die mit dem Metier der Kritik auch beruflich zu tun haben, sei es im Kulturbereich oder in der Pädagogik! 🙂
Ich copy-paste mal ein paar auch für hier relevante Absätze eines Kommentars rein, den ich gerade eben im fotoschrauber-Artikel geschrieben habe:
„[…] bitte eins nicht falsch verstehen: wenn ich von “supportive Critcism” rede, also Benennung von Stärken, von Dingen, die “gefallen”, die man als Kritiker “gut” findet, meine ich eben nicht irgendein nichtssagendes “Gesülze” sondern eben eine Benennung von Dingen, die mir auffallen. Konkret und auf das Objekt bezogen. Ich merke selbst immer wieder, wie schwer mir, als jemand, der nicht mit dieser Form der Kritik-Kultur aufgewachsen ist, es fällt, wirklich solche Dinge zu benennen. Ich stelle fest: ich bin es nicht gewohnt.
Ich weiß zwar, dass mir etwas gefällt, mich etwas beeindruckt, aber das, was dieses Gefühl verursacht, tatsächlich in Worte zu fassen (und nicht “nur” das Gefühl selbst, worauf ich mich manchmal einfach beschränke, weil ichs anders nicht hinbekam in dem Moment) ist etwas, das ich nie gelernt zu haben scheine (denn sonst “könnte” ich es ja ohne große Grübelei).
Eine großartige Übung für mich ist da erwähnte FAWM-Community, wo ich an den Kommentaren der anderen mir gegenüber oder auch bei anderen Beispiele finde, wie man “das macht”, etwas zu formulieren, zu beschreiben, was genau einem da grade gefällt, was genau man toll findet. Ich muss da selbst noch einige Übung reinstecken, bis ich das Gefühl haben werde, dass ich das wirklich kann. Beleg dafür, dass das “Prägung” und erlernte Methode ist – bzw. nicht erlernte ist – ist für mich, dass es mir tatsächlich dagegen überhaupt nicht schwer fiele, die “Fehler” in einer Sache zu beschreiben.
Ich merke damit: ich bin tatsächlich dazu erzogen, wenn nicht gar konditioniert worden, negatives Feedback zu geben. Das “kann” ich. Das hab ich gelernt. Und dass ich das eine kann und das andere (noch) nicht zeigt mir, dass beides reine Lernsache ist – und ich habe den Ehrgeiz, mir das beizubringen und irgendwann so selbstverständlich auf Positives an einer Sache deuten zu können, wie ich es mit Mängeln auch gelernt habe und deshalb schon lange kann. […]“
Ich kritisier Dich jetzt Mal:
Ich finde Deinen Schreibstil äußerst angenehm zu lesen. Locker und nicht zu „hochgestochen“ und dennoch niveauvoll.
Die von Dir besprochenen Themen und Deine Gedanken dazu finde ich interessant und lesenswert.
Ich denke, ich werd hier in Zukunft ab und zu Mal mit lesen:-)
Grüße,
V..:
Danke dir 🙂
Guter Artikel, lesenswert, einverstanden. Danke fürs Teilen. Aber, hmmm…, was macht man mit den (leider nicht wenigen) penetranten Selbstdarstellern, die mir jeden Schrott unter die Nase halten und sich bereits für die besten halten? Schweigen und ignorieren? Ich geb’s zu: Die provozieren mich, sie etwas zur Bescheidenheit zu mahnen. Vielleicht auch eine eher kontinentaleuropäische Charakteristik.
Danke dir 🙂
Inwieweit „unter die Nase halten“? Wenn es Leute sind, denen du irgendwo „folgst“ (also Kontakte auf einem Fotoportal, oder auf Fecebook oder Twitter oder sonstwo), und die dich nerven oder dir ihre Sachen nicht gefallen, steht dem ja nichts entgegen, sich ihre Sachen nicht mehr anzusehen, indem man ihnen einfach nicht mehr folgt.
Wenn es Leute sind, die dich explizit ansprechen und um deine Meinung fragen, dann seh ich auch kein Problem darin, ihnen zu sagen, dass etwas nicht dem eigenen Geschmack entspricht und man deshalb nicht die richtige Person für ein brauchbares Feedback ist – ich mache ja z.B. auch Musik, und mir ist bewusst, dass deren Stil nicht jedem gefällt, so wie mir ja auch manches, selbst wenn es „gut gemacht“ ist, einfach überhaupt nicht gefällt (Alles, was Reggae ist z.B.). Bzw., wenn explizit „kritisches Feedback“ erfragt wurde kann man ja eins geben.
Aber wenn irgendwelche Leute halt irgendwo irgendwelchen Kram raushauen, den man halt zufällig mitbekommt, was spricht dagegen, sowas einfach zu ignorieren, anstatt fremde Leute zu seinen eigenen Vorlieben hin erziehen zu wollen 😉
Und: „provozieren“ heißt, deren Verhalten triggert dich an. Trigger aber, dessen muss man sich im Klaren sein, liegen immer bei einem selber. (Achtung: ich rede NICHT von „Schuld“, sondern nur von Ursachen und Mechanismen). Das heißt: u.U. wäre es interessant, nachzuspüren, warum ein Verhalten eines anderen Menschen, der sich ja nicht in dieser Weise verhält um dich (absichtlich) zu ärgern, heißt, dessen Verhalten gar nicht auf deine Person spezifiziert ist, dir auf so einer persönlichen Ebene eine emotionale Reaktion verursacht.
Ich mag mich ja meistens nicht damit aufhalten, Dinge zu kritisieren, die ich nicht mag. Zumindest nicht bei Musik. Wenn mir was so gar nicht gefällt, dann muß ich es auch nicht hören.
Bei Büchern und Filmen fällt mir „Mängelkritik“ leichter, aber auch da muß es ja irgendwas gegeben haben, was mich dazu gebracht hat, mich überhaupt damit zu beschäftigen.
Wenn ich eine Rezension schreibe, dann habe ich meistens eins im Hinterkopf: Anderen eine Entscheidungshilfe zu geben: Was ist das für Musik/für ein Buch/für ein Film? Könnte es mir gefallen? Ich will Hinweise auf Sachen geben, mit denen sich zu befassen sich lohnt – bzw. die mir was geben. Und so ganz gelegentlich kommt es vor, daß ich mich auch mal über was äußere, was ich ärgerlich oder enttäuschend finde; meistens stellt sich dann raus, daß ich diese Verärgerung bzw. Enttäuschung daraus resultiert, daß ich bestimmte (gerechtfertigte oder ungerechtfertigte) Erwartungen hatte, die ich nicht erfüllt sehe.
Umgekehrt nehme ich es mir auch heraus, meine ungefilterte Begeisterung mal in eine Rezension einfließen zu lassen.
Mir als notorisch konfliktscheuem Wesen kommt so ein Verständnis von Kritik, das sich auf auf das Gute und Ausbauwürdige konzentriert, sehr entgegen – es wundert mich überhaupt nicht, daß FAWM so eine ausgesprochen ermutigende Wirkung auf mich hat.