OK, I’m biased, seit Jahren fahre ich regelmäßig mindestens ein Mal im Jahr nach England rüber, und 2020 war das erste Jahr seit ich weiß nicht wann, in dem das nicht möglich war, und wer weiß wie’s nach dem vollzogenen Brexit weitergeht.
Also hol ich mir London eben auf den PC. Als jemand, der London inzwischen doch recht gut kennt kann ich also schon einmal das über dieses Spiel sagen: London, speziell die bekannteren Gegenden, ist ausnehmend gut geworden, es macht Spaß, einfach an den Orten, an denen man auch schon mal „in Echt“ war, im Spiel herumzulaufen und auf Sightseeing Tour zu gehen. Natürlich ist das Game-London keine 1:1 Wiedergabe der tatsächlichen Stadt, es fehlen ganze Stadtteile und Straßenzüge und die Größen- und Entfernungsverhältnisse sind entsprechend verzerrt, aber mehr als das Gebotene erwartet glaub ich auch niemand ernsthaft.
Sobald ein Spiel in einer „bekannten“ Umgebung spielt, ist Ubisoft am besten. Drum ist Breakpoint mit seiner sehr generischen Phantasie-Insel ja auch so gefloppt: das Faszinierende an den Ubisoft-Welten ist ja ihre Wiedererkennbarkeit, selbst wenn sie, wie in Wildlands, tatsächlich „nur“ eine grobe Anlehnung im Westentaschenformat oder in Assasins Creed nicht… „aktuell“… sind. Aber ob New York und Washington in Division, Kolumbien in GR Wildlands, Chicago und San Francisco – und jetzt London in Watchdogs – hier glänzt Ubisoft schon aus Tradition.
Aber was ist nun mit dem Spiel selber? Hält es dem Hype und den geweckten Erwartungen Stand, der über die letzten 2 Jahre mit großem Werbeaufwand dran geknüpft wurden?
Ja und Nein. Die Grafik ist ganz gut gelungen, wenn man eine RTX-GraKa hat (und eine nicht zu schwachbrüstige CPU) gibts auch ein paar Details mehr speziell bei Spiegelungen, raubt einem aber jetzt auch nicht vollends den Atem, es ist halt die aus WD2 bekannte, etwas aufgepeppt um mehr Details und besseres Lighting. Feine Details, Wetter und Licht liefern aber auf jeden Fall einen durchaus atmosphärisch dichten Eindruck der Stadt, da kann man wirklich nicht motzen.
Leider sind die Figuren dagegen nicht ganz so gut weiterentwickelt, hier hat sich im Vergleich mit dem Vorgänger nicht allzu viel getan, speziell Haut und Haare werden in anderen Games deutlich schöner realisiert und die Diversität stößt auch schnell an Grenzen, wie ich in meinem Cyberpunk-Review ja bereits erwähnt hatte: die NPC Statisten werden aus einer etwas zu überschaubaren Menge aus Modulen im Baukastensystem zusammengewürfelt, so dass man zu schnell zu oft gefühlt immer den selben Leuten über den Weg läuft, auch wenn sie vielleicht anders angezogen sind.
Aber auch die große Einzigartigkeit des Prinzips „spiele jeden NPC der rumläuft und mach ihn zu einem Mitglied deines Teams“, das in der Werbung als DAS zentrale und innovative Spielprinzip dargestellt wurde, stellt sich am Ende doch mehr so als ein nices Zusatzelement heraus, das dem aus WD2 bekannten Gameplay zwar tatsächlich ein wenig Würze gibt, weil man nicht immer nur mit dem selben Character durch die Gegend läuft, sondern mit einer Auswahl verschiedenster Charaktere mit verschiedenen Fähigkeiten und Spezialisierungen, aber der alles verändernde Gamechanger für das Genre, als der er von Ubi gehypet wurde, ist das halt am Ende dann doch nicht.
Nicht falsch verstehen, es ist ein durchaus reizvolles Feature, weil es ermöglicht, verschiedenste Spielstile von extrem offensiv bis extrem stealthy abwechselnd zu spielen, ohne ständig erst einmal das komplette Gearset umzubauen und den Skill-Tree neu zu sortieren, nur weil man halt auch mal eine andere Vorgehensweise ausprobieren will bzw. für die verschiedenen Missionen auch wirklich verschiedene Skillsets benötigt und sich nicht festlegen muss wie in manchen anderen Games.
Dass man jederzeit auf sehr verschiedene Skillsets zurückgreifen kann, ermöglicht dabei auch entsprechend variantenreiche Missionen, und entsprechend nutzt Ubi diese Möglichkeit dann auch im Design der Missionen, die für Ubisoft Verhältnisse – also im Vergleich mit den anderen Ubisoft-Flagschiffen – deutlich abwechslungsreicher und auch offener in den Möglichkeiten, sie anzugehen gestaltet sind.
Was den Charakteren allerdings ein wenig abgeht ist Tiefe, sie neigen ein bisschen zu arger Beliebigkeit.
Ich weiß nicht genau, warum, denn grundsätzlich sind sie schon stimmig und speziell im englischen Original auch nicht völlig generisch. Speziell die Voice-Actors, die sie sprechen – mit wunderschönen britischen Akzenten – geben den Figuren durchaus Charakter. Überhaupt empfehle ich – wieder – allen, die auch nur halbwegs brauchbar englisch können, Legions auf englisch zu spielen, denn man würde sonst einen großen Teil dessen verpassen, was die Atmosphäre von Legions ausmacht.
Auch ist die AI der NPCs solide, sie können Auto fahren, sie beschimpfen einen mit dem Besten, was das britische Vokabular an Schimpfwörtern zu bieten hat, vor allem wenn man vergessen hat, die Uniform der oppressiven „Albion“-Security auszuziehen, aber auch, wenn man sie anrempelt, manche beschweren sich, manche laufen weg und manche hauen einem auch mal aufs Maul, wenn man ihnen zu sehr auf die Pelle rückt, und Polizei und Security-Miliz jagen einen glaubhaft durch die Straßen, wenn man was kriminelles tut. Da gibts ein gewisses hochgehyptes anderes Spiel, das in diesen Punkten weit weniger hinbekommen hat.
Aber ihnen fehlt am Ende dennoch die Tiefe, die aus ihnen „richtige“ Persönlichkeiten machen könnte. Wenn man jeden beliebigen NPC rekrutieren kann hat man am Ende halt auch irgendwie „nur“ ein Team aus – ja – beliebigen NPCs. Aber vielleicht wäre es auch ein bisschen viel verlangt, für potentiell jeden NPC eine dichte Backstory zu liefern, die nötig wäre, um neben Charakter auch Persönlichkeit zu vermitteln. Erst recht von Ubisoft, die jetzt ja auch nicht einmal berühmt für tiefgründige Charakterzeichnung sind sondern sich meist auf Klischees und Stereotypen beschränken (die allerdings können sie sehr gut, was dort zu Gute kommt, wo sowas gebraucht wird. FarCry 5 ist so ein Beispiel)
Gameplay, Missionen und Story:
Wer WD2 gespielt hat wird sich im Gameplay schnell wieder zurecht finden, hier hat sich im Grundsätzlichen nicht viel geändert. Was nichts Schlechtes ist, wenn mans mochte, und das Gameplay fand ich auch in WD2 schon erfrischend reizvoll und eigenständig. Gerade im Vergleich zu klassischen Shootern einerseits oder Jump-and-Run-ähnlichen „Geschicklichkeits“-Spielen andererseits hat sich WD schon immer eine eigene kleine Nische gesucht und diese auch gefunden, indem es zwar ein paar Elemente aus all diesen Welten nimmt, diese aber mit der sehr geschickt gemachten Möglichkeit der Manipulation der Umwelt mit Hilfe von „Hacks“ und Hijacking von Technik kombiniert. Hat mir schon in den Vorgängern gefallen und gefällt mir in der jetzigen Weiterentwicklung ebenfalls wieder.
Was speziell ich etwas enttäuschend fand, zu Beginn, weil es mir da auffiel: im Gunplay wurden die Sniper komplett entfernt. Wie sich rausstellte braucht man das aber auch nicht wirklich in der Solokampagne, so dass ich das nach einer Weile gar nicht mehr vermisst habe. Wie das im zukünftigen CoOp Gameplay aussehen wird kann ich allerdings noch nicht sagen, denn inwieweit die taktische Option, die in WD2 da sehr gut funktioniert hatte, nämlich eine*r „geht rein“, ein*e ander*e sorgt für Deckung von außen per Sniper, „fehlen“ wird, wird man wahrscheinlich erst sagen können, wenn der angekündigte Multiplayermodus zur Verfügung steht.
Der Verlust mancher Möglichkeiten aus den alten Spielen wird – zumindest in der Theorie einer „Summe“ – durch neue Elemente ausgeglichen, speziell die verschiedenen Drohnen und die Möglichkeiten, diese einzusetzen oder zu bekämpfen. Ich gebe allerdings zu, dass ich manche Möglichkeiten, die ich in WD2 noch hatte, hier ein bisschen vermisst habe und schade fand, dass es sie nicht mehr gab.
Für Leute, die auf eher „schnelles“ Gameplay stehen ist das alles allerdings wahrscheinlich eher abschreckend, denn man verbringt schon erstmal viel Zeit beim Ausspähen der Umgebung einer Mission und dem Ausloten der Möglichkeiten, die diese Umgebung so bietet. Je besser man sich den Ort eines (zukünftigen) Geschehens angesehen hat, desto geschickter kann man diese Umgebung zu seinem Vorteil nutzen und die Mission erfüllen. Mir persönlich macht sowas großen Spaß, und ich mag das Erfolgserlebnis, das einem das Spiel liefert, „wenn ein Plan funktioniert“ und die etwas längere Vorbereitungzeit, die man in Ausspähen und genauer Beobachtung (und jetzt auch in die Auswahl des für den Plan am besten passenden Teammitglieds) gesteckt hat, sich ausgezahlt hat.
Die Story ist im Vergleich zu WD2 wieder etwas düsterer, was dem Game gut tut, aber es rutscht auch nicht mehr gänzlich zurück in die Tristesse des ersten Teils sondern übernimmt aus dem zweiten noch genug Quirkiness und Absurdität, um dem ernsten Hintergrund auch genug komische Seiten zu verleihen. Auch das ist aber natürlich Geschmackssache, und ich werde meinen Charakteren jetzt auch nicht die komplett durchgeknalltesten Klamotten und Masken aufsetzen, wenn ich sowas haben wollte würde ich eher GTA spielen.
Der Untergrundkampf gegen ein faschistoid gewordenes London unter der Fuchtel einer Verbrechergang einerseits und einer privaten Security, die sich die Stadt und den Staat unter den Nagel gerissen hat gibt der Story aber auf jeden Fall mehr „Purpose“ als die Jagd nach billigem Media-Fame in WD2.
Ich habe die Story – oder besser, die Stories, denn die Story läuft mehr oder weniger parallel über vier Adversaries, deren Machenschaften zunächst aufgedeckt und dann ausgeschaltet werden müssen um am Ende dann ins Finale zu münden – durchgespielt und war positiv überrascht, da Ubisoft jetzt auch nicht unbedingt für bestes Storytelling bekannt ist, zu oft scheint Story für Ubi-Games nur als eine Art atmosphärischer Rahmen verstanden zu werden um eine Serie von Gameloops zu unterfüttern, die dann irgendwann auf irgendwelche Bossfights hinauslaufen. Die Story von Legions ist im Vergleich zu dem, was man von Ubi gewohnt ist, ungewöhnlich komplex, hat sogar den ein oder anderen Twist und erzählt tatsächlich eine Geschichte, auf die man im Verlauf auch in der Welt spürbaren Einfluss nimmt.
Nein, ein RPG ist Watchdogs dennoch nicht, die Storymissions laufen an einer linear erzählten Story entlang, es gibt keine verschiedenen Ausgänge, das Ziel ist mit erreichen der jeweiligen Mission Goals ebendiese Story weiter voranzutreiben und fertig. In dem Punkt ist Legions also ganz klassisch eine Story mit definiertem Verlauf und Ausgang. Aber: diese Story ist in sich konsistent und interessant. Das war für mich der Schwachpunkt des Vorgängers, der mich irgendwann im Verlauf der wirren und zerfransten Story verloren hat, obwohl mir das Game eigentlich wirklich gefallen wollte.
Als Fazit würde ich sagen, ist es ein recht typisches, und damit solides Ubisoft-Game, im Guten wie im Schlechten.
Ubisoft ist jetzt nicht bekannt dafür, die emotional besonders tiefgehenden Stories zu erzählen und Persönlichkeiten für seine Protagonisten zu entwickeln, die über relativ oberflächliche, oft stereotype Charakterdarstellungen hinaus gehen.
In Sachen Story, wie gesagt, ist Legions ein überraschend „besseres“ Ubisoft-Game.
In Sachen Character-Play darf man aber keine zu hohe Erwartungen mitbringen – am Ende wählt man die Leute, die man sich ins Team holt, nach ihrem – relativ willkürlich und zufällig vorhandenem Skillset aus, nicht etwa nach ihrer Persönlichkeit. Was sie als Charaktere austauschbarer und damit als „Individuen“ entbehrlicher macht als man sichs vielleicht wünschen würde.
Dennoch ist der zusätzliche Layer des „Character Teams“, das man sich zusammenrekrutiert, reizvoll, denn diese verschiedenen Charaktere ermöglichen es dem Spiel, auf komplexe Skilltrees weitgehend und auf Leveling komplett zu verzichten, was ich persönlich sehr angenehm finde, weil man sich eben um Story und Umgebung kümmern kann ohne dauernd auf den Level und das nochmal bessere Gearset etc. schielen zu müssen. Es gibt da schon ein bisschen was zum Ausbauen, ein paar Gadgets und ein paar bessere Hacking-Skills, die man (für alle Teammitglieder) ausbauen kann, aber das ist extrem übersichtlich im Vergleich zu anderen Games, die Progressionen über aberdutzende Schritte gehen und dazu auffordern immer mehr und immer besseren Scheiß zu sammeln ohne das Gefühl, dass es auch irgendwann mal reicht. Sprich: nein, Legions ist kein Lootshooter.
London hat mir als Umgebung aus Gründen extremen Spaß gemacht, ich fand die Story unterhaltsam und nachdem ich WD2 nicht zu Ende gespielt hatte – denn bei allem Spaß, den ich mit WD2 hatte, hatte es der Vorgänger irgendwann geschafft, mich nicht mehr zu fesseln, vor allem wegen der leider deutlich schwächeren Story und der andauernden sehr lächerlichen Jagd nach Pseudo-Fame, die sowas wie Likes auf Instagram oder ähnliches simulierte – hat mich Legions tatsächlich bis zum Schluss bestens unterhalten.
Und das Beste: ich hatte diesmal nicht das Problem, das ich bei vielen Ubi-Titeln habe, nämlich durch einen ewig in die Länge gezogenen Mittelteil die Lust zu verlieren. Im Gegenteil, ich war durchgängig immer neugierig, wei’s wohl weitergeht und musste mich sogar zwingen, die Story auch mal etwas liegen zu lassen und die ebenfalls sehr schönen Sidequests und Recruitments zu machen. Was dann aber auch nicht schwer fiel, weil diese prima geeignet sind, wenn man mal nur ein Stündchen zwischendurch spielen will.
Und jetzt bin ich mal gespannt, wann der Multiplayer rauskommt und ob dieser mich noch einmal ein weiteres Weilchen in dieser dystopischen London-Version verweilen lässt. Was freilich auch ein bisschen abhängig davon ist, ob ich Spielepartner*innen dafür finde… ;-).